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Süßes Gift und bittere Orangen: Historischer Kriminalroman

Süßes Gift und bittere Orangen: Historischer Kriminalroman

Titel: Süßes Gift und bittere Orangen: Historischer Kriminalroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eve Rudschies
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Pistazien probierte. Die Hofräte, der magere Doktor Eck an erster Stelle, aßen mit Wonne, was ihnen die Speiseordnung am Hof sonst verwehrte. Widmannstetter schwelgte in Erinnerungen an seine Jahre beim Papst und genoss sichtlich die Schönheit seiner Verlobten. Ludwig gönnte sich zwischen den Gerichten noch Dragees aus einer fein ziselierten silbernen Dose. Anna Lucretia strahlte und Maestro Sigismondo erklärte bei jeder Speise, Landshut sei dabei, selbst Venedig zu übertreffen.
    Bei den Fleischgerichten verloren alle jedes Maß: nur edle Vögel köstlich zubereitet. Sie seufzten ekstatisch beim Anblick von gebratenen Hühnern in fünf verschiedenen Farben und verschlangen das nach katalanischer Art geschmorte Federvieh. Die Soße aus Mandeln, Weißbrot, Essig, Zucker und indischen Gewürzen wurde als Meisterwerk Soldanis bezeichnet. Sogar Sabina labte sich am lombardischen Reistopf und vergaß Parmesan, Zimt und Zucker zugunsten der feinen Schicht aus Hühnerbrüstchen. Die am Spieß gebratenen gefüllten Waldvögel mit paradiesischer Feigensoße verschwanden, als ob niemand vorher etwas gegessen hätte.
    Herzog Ludwig aß und trank noch mehr als sonst. Anspannung wie Zustimmung steigerten seinen Appetit, wie auch draußen der laute Jubel der Stadtbevölkerung. Dank seiner Großzügigkeit besaß Landshut den Ruf, die dicksten Bettler Bayerns zu haben. Zur Feier des Tages waren aus der herzoglichen Küche Unmengen an Brot, Wein und Wildschweinpfeffer an Arm und Reich verteilt worden, eine seltene Köstlichkeit. Lob und Dank ertönten regelmäßig vor dem ›Piano nobile‹ der neuen Residenz. Ludwigs Gier machte auch nicht Halt vor den verschiedenen Sorten Nachtisch, einer erlesenen Auswahl an schneeweißen Leckereien zu Ehren der jungfräulichen Verlobten.
    Anna Lucretias Herz zersprang schier vor Freude und Dankbarkeit. Ihr Magen aber erlaubte keine weiteren Sprünge. Ihrem Vater zuliebe kostete sie ein wenig von der Mandeltorte, den glasierten Dattelrollen, dem Marzipan und dem Eischnee – Ludwig langte umso herzhafter zu, verachtete auch nicht den dazu gereichten Götterwein. Am Ende aß er nur noch allein vor den besorgten Mienen der Gäste. Er streckte die Hand ein letztes Mal zum Schüsselchen mit den kandierten Mandeln aus, als er abrupt zusammenbrach.
    Der Herzog blieb fast die ganze Nacht über bewusstlos. Erst in den Morgenstunden erwachte er mühsam in seiner Schlafstube. Seine Beine zitterten, Durst und Harndrang quälten ihn. Sabina und Anna Lucretia weinten am Kopfende des Bettes. Der Burgkaplan betete unaufhörlich mit lauter Stimme. Die anderen Anwesenden blieben stumm.
    Der herzogliche Leibarzt triumphierte nach einer ganzen Nacht vergeblicher Bemühungen. Dr. Stephan Ulmitzer war ein großer, wohlgenährter Mann, erstaunlich blass für seinen Bauchumfang. Auf der winzigen Nase trug er ein Paar Brillengläser, die ersten je in Landshut gesehenen. So sehe er besser durch den Urin seiner Patienten, meinte er. Das Gesinde auf der Trausnitz fürchtete sich vor diesen ›Schlangenaugen‹. Ulmitzer räusperte sich vernehmlich. Der Kaplan beendete sein Gebet.
    »Unser gütiger Herr, Herzog Ludwig, leidet am süßen Fluss. Dieser beruht auf einer Erhitzung der Nieren. Sie befördern zu viel des Lebenssaftes Urin aus dem Körper, wodurch dieser Wärme und Feuchtigkeit verliert. Ergo der große Durst. Dieser Wärme- und Feuchtigkeitsverlust macht unseren Herrn anfällig für weitere Erhitzungen wie Fieber und Geschwüre. Deshalb muss er durch seine Ernährung umso mehr zu sich nehmen. Warme, fette Speisen, viele weiße Gerichte, viel Honig, Zucker, Süßweine, da durch den süßen Fluss der Körper sonst zu sauer wird. Das empfindet Seine Hoheit selbst, da er sich von diesen Speisen angezogen fühlt.«
    Bestürzung machte sich in der Schlafstube breit. Niemand wagte, am Ratschluss des Arztes zu zweifeln. Dennoch konnte keiner den Gedanken verdrängen, der herzogliche Magen litte unter den ihm zugemuteten Mengen. Was tun? Widmannstetter fand als Erster die Sprache wieder.
    »Verzeiht meine Kühnheit, Hoheit. Der Doktor Paracelsus aus Salzburg meinte, der süße Fluss sei weit mehr als die Erhitzung der Nieren. Es sei eine Überhitzung des Magens und des Appetits, hat er geschrieben, die zu Fettleibigkeit und Flüssigkeitsverlust führt. Er schreibt, die Patienten müssten wenig essen und sich viel bewegen, um trockene Hitze zu gewinnen. Das stand übrigens auch in den Schriften arabischer Ärzte, die

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