Süßes Gift und bittere Orangen: Historischer Kriminalroman
alles verdankte sie den Habsburgern und Wittelsbachern, von denen die meisten sie am liebsten totschwiegen. Das wusste sie ganz genau. Ebenso wie ihre schöne Mutter Anna Margaretha Eisengrein wünschte sie sich eine Gelehrtenehe in einem Haus voll kostbarer Bücher statt ständiger Kriege um eine Hofmätresse oder die Selbstzufriedenheit einer bürgerlichen Hausfrau. Doch es war nicht der richtige Augenblick, um sich mit Sabina zu streiten. »Ein politischer Kopf«, hatte die alte Herzogin gemeint. Wie seltsam! Anna Lucretia wusste nicht so recht, was sie davon halten sollte. Aber wenn es ihrem Vater und Johann Albrecht half … Sie wagte sich weiter vor.
»Wir dürfen nicht allein entscheiden und handeln, liebste Tante. Es darf nicht der Eindruck entstehen, der Herzog würde von Euch und von mir wie ein kleines Kind gegängelt.«
»Vorzüglich, Kind, ganz wie meine selige Mutter.« Sabina lachte lauthals. »Du hast auch die wichtigste Spielregel verstanden: Die Weiber müssen lenken, aber im Hintergrund. Glaub mir, du bist zu schade für einen einfachen Gelehrten wie Widmannstetter. Warte noch, ich finde jemand Besseren für dich!«
Das feuerrot flammende Gesicht ihrer Nichte belustigte sie noch mehr. Ein neuer Lachanfall gab Anna Lucretia die Zeit, ihre überbordende Wut mühsam zu verbergen. Niemals hätte die junge Frau vermutet, sie könne solche Angriffslust verspüren. Was glaubte die alte Krähe am Kachelofen denn? Dass sie darauf brannte, sich blaues Blut zu schnappen? Lenken und im Hintergrund bleiben! Wie wäre es mit dem Befolgen der eigenen Lektion? Ob der blutrünstige Ulrich von Württemberg doch nicht ein paar gute Gründe hatte, seine Gattin kaltzustellen? Dieser Gedanke erschreckte Anna Lucretia und brachte sie zur Besinnung. Nicht ohne Stolz hielt sie sich für sanft, vernünftig, aufrichtig und für eine gute Christin. Wollte sie wirklich die alte Herzogin, ihre einzige Verbündete in dieser wirren Lage, herzlos vor den Kopf stoßen? Sabina wünschte ihrer Nichte doch nichts Böses. Bevor ihr Schweigen und ihr innerer Kampf beleidigend werden konnten, rang sich das Mädchen ein Lächeln ab. Lenken und im Hintergrund bleiben? Nein, diesmal nicht.
»Ich will niemand anderen, liebe Tante. Ich bin verlobt, ich habe mein Wort gegeben. Ich will, dass mein Vater lebt und dem Mann, der ihm hilft, dankbar sein. Das ist alles.«
Sabina wischte sich noch eine Träne aus ihren Lachfalten.
»Ist gut, Kind, du brauchst kein schlechtes Gewissen zu haben. Es ist genug zu tun.«
Herzog Ludwig zeigte sich erleichtert von dem Vorschlag, den Geringeren im Hofstaat Tafelopfer zu ersparen. Die Sache an sich tat ihm von Herzen weh. Er brauchte Wohlwollen und Zufriedenheit um sich herum wie die Luft zum Atmen. Dass diese nicht immer und um jeden Preis zu haben waren, akzeptierte er wohl oder übel. Wenn sich Verstimmungen vermeiden ließen, vermied er sie. So übernahm er auf der Stelle den Vorschlag seiner Tochter.
Ludwig wollte seine Entscheidung im Gewölbe des alten Dürnitz selbst verkünden. Das fiel ihm sichtbar schwer, als er vor seinen Räten, den Adligen, Kämmerern und allen, die zu seinem engeren Gefolge gehörten, sowie vor dem Küchenmeister und den Köchen stand. Es war eisig kalt und dunkel in der niedrigen, zweischiffigen Halle, einem der ältesten Teile der Burg. Das dicke Gemäuer hielt die Feuchtigkeit zurück; ein schmaler Kamin vermochte kaum – im Gegensatz zum großen Kachelofen im neuen Dürnitz – etwas Wärme zu spenden. Nicht umsonst speiste dort das gemeine Hofgesinde – Diener, Knechte und Mägde, Wachen und Wäscherinnen, Pagen, Chorknaben und junge Mädchen für alles. Die Bediensteten der Küche genossen das Privileg, unter sich in der großen Mundküche zu essen. Ganz bewusst wollte der Herzog im Dürnitz seine Ansprache halten. Der festliche neue Saal mit seinen fröhlichen Wandmalereien, seinen zahlreichen hölzernen Leuchtern, bequemen Tischen und breiten Bänken schien Ludwig nicht geeignet für eine Verzichtsansprache. Auch grenzte der alte Dürnitz an die Küche. So konnten Küchenmeister und Köche ihre Pfannen, Tiegel und Töpfe im Auge behalten.
Der Herzog fand zunächst keinen Anfang. Die Adligen, eingehüllt in dunkle, pelzgefütterte Schauben, ein Samtbarett auf dem Kopf, starrten dumpf vor sich hin wie schwerfällige, in der Kälte dampfende Rösser. Nur sein Hofrat Weißenfelder und dessen Münchner Kollege, der groß gewachsene, hagere Leonhard von Eck im
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