Süßes Gift und bittere Orangen: Historischer Kriminalroman
und freudlos an Roggenbrot kauender Hausherr würde seinen Untertanen gewiss keine zarte Milchsemmel gönnen. Sollte er tatsächlich nur noch leichten Weißwein trinken, bedeutete das für die Adligen Obstwein, Most oder gar Bier. Vielleicht das ungesunde Wasser? Horrorvorstellungen schossen durch die erhitzten Köpfe. Statt Lachs und Hecht in feiner Butter nur noch Stockfisch und Salzheringe. Die Soße dazu? Wohl nichts aus Limonensaft, Zucker und teuren Gewürzen, eher eine beißende Zwiebel-Essigtunke. Lebewohl Wildbret, Kapaun, Mandeln, Feigen, Datteln, Aal und Weißbrot! Stattdessen tagaus, tagein Kraut, Linsen, Bohnen, Hanf, Knoblauch, Rettich, Gerstenbrei und Gepökeltes. Der bloße Gedanke an diesen Schreckensreigen erzeugte Würgen und Weinen.
Sabina rechnete zunächst mit einem raschen Abklingen des Getöses. Nach zwei Tagen wurde ihr klar, dass genau das Gegenteil geschah. Sie selbst, Weißenfelder und Eck, der immer noch auf der Trausnitz weilte, empfingen eine Delegation aufgelöster Bürger nach der anderen. Alle fragten, ob denn jede Hoffnung für den Herzog verloren wäre. Auf der Burg roch es förmlich nach Mord und Totschlag. Die widersprüchlichsten Gerüchte über die zukünftigen Speisepläne verbreiteten sich in Windeseile. Am Abend des zweiten Tages nach Mariae Erwählung brach Anna Lucretia, die bisher geschwiegen hatte, in Sabinas Armen zusammen. Sie weinte so heftig, dass die Herzogin trotz beruhigendem Streicheln und gutem Zureden nicht verstand, was sie schluchzend erzählte. Schließlich schüttelte sie Anna Lucretia unsanft.
»Jetzt ist genug, Kind. Zur Sache! Gibt es etwas, was ich wissen muss? Oder ist es Herzklopfen vor der Hochzeitsnacht? Soll ich dir Melissenwein bringen lassen?«
Sabinas Entschlossenheit wirkte; Anna Lucretia sah verschämt zu ihr hoch. Sie rang nach Luft.
»Liebste Tante, natürlich gibt es etwas. Ich bin doch nicht so dumm.«
»Dann rede schnell und verständlich.«
»Es geht um Johann Albrecht. Er wird ständig angepöbelt und bedroht. Die einen nennen ihn Hochstapler, die anderen schimpfen ihn einen Vergifter, Juden und Mörder. Der Soßenkoch, dieser rothaarige Judas, bedauert offen, ihn aus der Löwengrube gerettet zu haben. ›Schade, dass die Katzen dich nicht bis auf den letzten Knochen gefressen haben.‹ Tante! Das hat Langhahn Johann Albrecht ins Gesicht gesagt. Der Soßenkoch! Wie kann er das nur wagen! Und erst Quirin Quast, der Fürschneider! Im Moment werden die Schweine geschlachtet, man hört sie überall quieken. Quast hat Johann Albrecht am Hals gepackt und ihm gesagt, er wünsche ihm, was dem Borstenvieh gerade geschieht. Bei dem lauten Gebrüll würde niemand merken, ob eine Sau mehr oder weniger in der Wurst lande. Tante, man muss diese Schurken bestrafen. Mein Vater muss sie aus der Burg jagen. So ein Benehmen darf er nicht dulden. Ihr auch nicht, liebste Tante, sonst tun diese Unmenschen Johann Albrecht noch Schlimmes an. Die sind wie verhext.«
Anna Lucretia hatte erwartet, dass die Herzogin wütend werden würde. Doch Sabina sah so besorgt und nachdenklich aus, dass ihre Nichte noch tiefer erschrak.
»Ja, wie verhext. Das hast du gut getroffen, Kind. Wer weiß, vielleicht stimmt es.«
Anna Lucretia verstand die Welt nicht mehr.
»Was meint Ihr, liebste Tante? Wer soll sie verhexen? Und warum?«
»Warum und wie, das ist sehr einfach. Der Magen und die Eitelkeit sind weit mächtiger als das Denkvermögen. Dazu braucht es nicht einmal einen üblen Zauberer. Dass manch Bösewicht dies gern für sich nutzen will, das rieche ich förmlich. Obwohl mir niemand glaubt.«
»Meint Ihr den Herzog von Württemberg und die Protestanten?«
»Ulrich, der alte Teufel? Ja, bestimmt. Und noch mehr … aber das hilft uns nicht. Es muss etwas geschehen. Wenn es stimmt, was du mir berichtest, werden diese Leichtgläubigen völlig verrückt spielen.«
»Es stimmt alles, liebste Tante. Der Doktor Ulmitzer hat mir gesagt, ich werde meinen Vater umbringen, wenn ich weiter zu Johann Albrecht halte. Ihr könnt Euch vorstellen, was er sonst überall erzählt. Tante, ich verstehe das nicht. Dabei ist es doch ganz einfach. Sie haben alle Angst zu verhungern oder vergiftet zu werden. Dabei muss allein mein Vater der Diät des Doktor Paracelsus folgen. Es hat doch niemand verlangt oder angeordnet, dass es ihm alle gleichtun.«
Obwohl sie unmittelbar vor dem großen Kachelofen saß, schien Sabina zu frieren. Sie legte die Füße auf die warmen Ziegelstufen,
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