Süßes Gift und bittere Orangen: Historischer Kriminalroman
leichtfertig sein? Schreibt mein teurer Bruder, warum es besonnen sein soll, mich nach Stuttgart zurückzuschicken?«
»Ja, Ihro Durchlaucht.« Weißenfelder nickte. »Er schreibt, dass der Rückgabevertrag von Württemberg an Herzog Ulrich Eure Sicherheit garantiere, und dass Ihr deswegen Euren rechtmäßigen Platz an der Seite Eures Ehemannes wieder einnehmen könntet, statt wie eine Bettlerin am Hof Eurer Brüder ein Euch unwürdiges Dasein zu fristen.«
Sabina, bebend am ganzen Körper, rang nach Luft. Ihr Mund war in einem stummen Schrei weit aufgerissen. Verzweifelt presste sie ihre geballten Fäuste gegen die Brust. Anna Lucretia eilte zu ihr, nahm sie in die Arme, versuchte vergeblich mit Widmannstetters Hilfe, sie mit Duftessig zu beruhigen. Ludwig erhob sich schwer atmend von seinem Stuhl und packte die fast Besinnungslose bei den Schultern. Er zwang sie, ihm in die Augen zu blicken.
»Für wen haltet Ihr mich, Schwester? Bin ich ein kleines Kind, dass ich hüpfe, wenn der große Bruder pfeift? Denkt Ihr so schlecht von mir? Habe ich Euch jemals Gründe gegeben, so zu denken? Habe ich Euer Vertrauen jemals missbraucht? Eure Verzweiflung zeigt mir, wie sehr Ihr an mir zweifelt. Das schmerzt, meine Schwester.«
Ludwigs bebende Stimme holte Sabina in die Wirklichkeit zurück. Schluchzend warf sie sich an seinen Hals. Widmannstetter und Anna Lucretia glaubten, ihren Augen nicht zu trauen.
»Oh, liebster Bruder, verzeiht mir! Ich sollte Eure Liebe und Standhaftigkeit in meiner Sache besser kennen.«
Ludwig schüttelte den Kopf.
»Den Rückgabevertrag mit Herzog Ulrich habe ich unterzeichnet, Schwester. Das habt Ihr mir oft genug vorgeworfen. Aber dazu stehe ich nach wie vor, weil es den Frieden in den deutschen Landen sichert, was auch immer Ihr darüber denkt. Nennt mich also nicht standhaft in Eurer Sache. Das bin ich in Euren Augen gewiss nicht gewesen. Dennoch sind mir Euer Leben und Wohlergehen teurer als alles andere. So wird es stets sein, das solltet Ihr wissen. Wieso also diese Verzweiflung?«
Sabina schluchzte weiter, aber befreit wie ein kleines Kind, das sich von einer großen Angst erholt.
»Ihr schickt mich also nicht zu Ulrich zurück?«
»Solang ich lebe, gewiss nicht. Ich weiß, was ich zu tun und zu lassen habe. Was mich mehr interessiert, ist zu wissen, wer es für so dringlich hielt, meinem Bruder von meiner Unpässlichkeit zu berichten.«
Sabina trocknete ihre Tränen. Ihr Blick war schon wieder scharf.
»Jeder und keiner! Es kann der gute Doktor Ulmitzer sein aus verletztem Stolz und Wichtigtuerei. Oder das Fräulein von Weichs, weil sie ehrlich meint, ich und Doktor Widmannstetter bringen Euch in Gefahr. Oder der Verräter, der den Brief meines Sohnes gestohlen hat. Oder alle zusammen. Möge Gott, dass ich bald Nachricht bekomme aus Württemberg. Nur so werden wir klarer sehen, mein Bruder.«
»Das wünsche ich mir auch, liebe Schwester.« Ludwig blieb ungewöhnlich nachdenklich. »Wilhelm und vor allem Eck lassen uns so schnell nicht mehr in Ruhe. Was ist denn nur mit dir, meine süße Taube? Musst du so heftig weinen?«
Endlich hatte der Herzog gemerkt, dass auch seine Tochter von Weinkrämpfen geschüttelt wurde. Sie schien untröstlich zu sein.
»Schickt Ihr Johann Albrecht weg, Vater? Von ihm habt Ihr nichts gesagt.«
Der massige Mann nahm Anna Lucretia in die Arme und wiegte sie.
»Aber, aber, mein Singvogel, meine kleine Meise, ich habe ihm mein Wort gegeben. Ihr seid verlobt. Ich weiß, dass er mir nichts Übles will. Somit ist alles gesagt. Weine nicht mehr, mein Rotkehlchen. Widmannstetter, trocknet Ihr bitte die Augen! Sie bietet ja einen erbärmlichen Anblick.«
Stumm vor Glück und Dankbarkeit spürte Anna Lucretia Johann Albrechts kühle Hände auf ihrem geschwollenen Gesicht. Sie glaubte, den Gipfel der Seligkeit erreicht zu haben, doch Ludwig ging noch weiter.
»Doktor Widmannstetter, ab heute geht Ihr jeden Tag mit diesem Kind ein wenig spazieren. Sie wirkt blass und zittrig in letzter Zeit. Sie braucht frische Luft.«
Der Gelehrte verbeugte sich tief vor seinem zukünftigen Schwiegervater. Er und alle Umstehenden wussten ganz genau, was Ludwig damit ausdrückte. Jeder sollte sehen und wissen, dass er zu seinem einmal gegebenen Wort stand, dass er seinem Berater vertraute – so sehr, dass er ihm, obwohl noch nicht Ehemann seiner Tochter, erlaubte, diese in der Öffentlichkeit zu begleiten. Auf den Brief vom Münchner Hof gab es keine eindeutigere
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