Süßes Gift und bittere Orangen: Historischer Kriminalroman
Antwort als diese.
Der erste Ausflug der Verlobten am selben Tag entpuppte sich als wahrer Albtraum. Sie wollten erst in die Stadt, dann die Flöße und Schiffe an der Lände beobachten, obwohl die Isar zu dieser Jahreszeit wenig Wasser führte. Sobald sie den Dreifaltigkeitsplatz erreicht hatten, begannen die Anfeindungen. Böse Blicke, Flüche, Beleidigungen, unter denen »Hochstapler«, »Schlange« und »Hexer« die harmloseren waren. Die Bettler vor Sankt Martin heulten wie Wölfe, als sie Widmannstetter erblickten. Die Anwesenheit Anna Lucretias hielt sie nicht davon ab, ihn zu bespucken und ihn vor der Friedhofsmauer lauthals einen Ketzer, Juden und Mohammedaner zu schimpfen. Es scherte sie offenbar nicht, dass man nicht alles auf einmal sein konnte. Sie trieben das Paar bis zum kleinen Zerrertor hinter Sankt Martin, wagten sich aber nicht in den Haag, das herzogliche Wildgehege, das dort begann und bewacht wurde.
Atemlos liefen Anna Lucretia und Johann Albrecht weiter zum Burgschanzl, dem nächsten Türmchen der Burgbefestigung. Die Wachmänner staunten nicht schlecht bei ihrem Anblick. Sie brachten sie in ihre karge, winzige Stube, wo – Gott sei’s gedankt – ein munteres Feuer im Kamin brannte.
»Lasst uns einen Moment allein!«, befahl Anna Lucretia dem Wachmann mit einer herrischen Stimme, die sie selbst überraschte. Wie Johann Albrecht zumute war, wusste sie nicht. Sie aber bebte vor noch nie gekannter Wut. »Das muss aufhören! Ich lasse so etwas nicht zu. Wie konnte das nur geschehen?«
Ihre hellbraunen Augen hatten jeglichen samtigen Goldschimmer verloren. Dunkel funkelnd bohrten sie sich in seine, entdeckten dort weder Furcht noch Entmutigung, nur wie bei ihr selbst grenzenlosen Zorn. Widmannstetters Stimme zitterte.
»Irgendjemand hier will, dass ich gehe. Dass deine Tante geht. Irgendjemand hier . Nicht in München, hier in Landshut . Jemand, der schon am Tag der Einweihung des Weinkellers den Münchner Hof benachrichtigt und aufgehetzt hat und der in der Stadt Scheußlichkeiten über mich erzählt. Wer, wie, warum? Das weiß ich nicht. Ob es mit Württemberg zu tun hat und diesem toten Boten, das weiß ich auch nicht. Oder vielleicht mit dem italienischen Bau der Residenz? Das ist gleichgültig. Jemand will uns von hier entfernen, mich und die Herzogin.«
Anna Lucretia dachte fieberhaft nach.
»Dann hat es mit meinem Vater zu tun und seiner Paracelsusdiät. Das ist das Einzige, was dich und meine Tante verbindet. Du hast mit dem Geschehen in Württemberg nicht das Geringste zu tun. Und Sabina war immer gegen den Bau der Stadtresidenz und noch mehr gegen ihren italienischen Teil.«
Widmannstetter presste die dünnen Lippen aufeinander.
»Folglich meinst du, dein Vater sei das Ziel? Nicht ich oder die Herzogin?«
»Du und auch meine Tante, weil ihr beide meinen Vater schützt vor etwas, das wir nicht kennen. Oder weil Ihr es erreicht habt, dass sich seine Gesundheit erholt.«
Widmannstetter war verblüfft. Seine für das feine Gesicht zu breiten Nasenflügel bebten wie bei einem aufgeregten Pferd.
»Das ist nur eine Vermutung. Wir dürfen sie aber nicht vernachlässigen. Die Folgen wären zu schlimm. Dein Vater ist das Ziel? Aber warum? Württemberg macht Sinn. Der Neubau macht Sinn. Und doch macht das alles zusammen wiederum keinen Sinn. Der Herzog ist der beliebteste Fürst, den ich kenne. Zwischen ihm und seinem Bruder herrscht seit Jahrzehnten Frieden. Wer soll ihm Übles wollen?«
Die junge Frau erhob sich von ihrer Bank und ging unruhig in dem kleinen Raum auf und ab, in dem es langsam dunkel wurde. Die lange Winternacht kam früh. Plötzlich blieb sie vor ihrem Verlobten stehen.
»Wer ihm Böses will, fragst du? Niklas Überreiter zum Beispiel, meinetwegen und wegen der Stadtresidenz. Was weiß ich, weswegen noch? Gutes will er meinem Vater bestimmt nicht.«
»Anna Lucretia, Liebste, der Mann ist vielleicht brutal, doch nicht rachsüchtig.«
»Woher willst du das wissen? Er sah so seltsam aus nach dem Anfall meines Vaters. Du hast selbst gesagt, es könnte Gift gewesen sein. Die Diät war es bestimmt nicht. Es geht ihm zu gut damit. Was sonst also?«
»Wie willst du das herausfinden? Wir haben nur Vermutungen, doch nichts in der Hand. Wir kommen nicht weiter.«
»Du hast recht, wir haben nichts in der Hand.« Mit verschränkten Armen blieb sie vor ihm stehen. »Dann müssen wir uns das Wissen holen, das uns fehlt.«
Widmannstetter traute seinen Ohren kaum.
»Was
Weitere Kostenlose Bücher