Summer and the City - Carries Leben vor Sex and the City: Band 2 (German Edition)
Protokoll: Ich bin kein Küken mehr. In diesem Sommer bin ich endgültig flügge geworden.«
»Das bist du«, stimmt Samantha mir zu. »Na gut, dann erkläre ich dich hiermit zur Taube. Dem inoffiziellen Wappenvogel New Yorks.«
»Dem einzigen Vogel New Yorks«, kichert Miranda. »Sei froh,
dass sie dich nicht zur Ratte ernannt hat. Obwohl – habt ihr gewusst, dass Ratten in China Glück bringen?«
»Ich liebe die Chinesen.« Samantha lächelt. »Wusstet ihr, dass sie die Pornografie erfunden haben?«
39
»Stanford White«, sagt Capote andächtig. »So hieß der Architekt, der die ursprüngliche Pennsylvania Station gebaut hat. Damals gab es nicht nur den unterirdischen Bahnhof, sondern darüber ein prächtiges Gebäude im Art-déco-Stil, das als eines der schönsten Bauwerke der Welt galt, bis das Grundstück 1963 von der Eisenbahngesellschaft verkauft und das Bahnhofsgebäude abgerissen wurde, um diese monströse Mehrzweckarena zu errichten – Madison Square Garden«, schnaubt er verächtlich.
»Das ist so traurig«, murmle ich, während wir auf der Rolltreppe nach unten fahren. »Meinst du, damals hat es hier auch schon so gestunken?«
»Was hast du gesagt?«, ruft er, um den Lärm zu übertönen.
»Nichts.«
In seine Augen tritt ein träumerischer Ausdruck. »Ich hätte am liebsten zur Zeit der Jahrhundertwende in New York gewohnt. «
»Ich bin froh, dass ich überhaupt mal eine Zeit lang hier gewohnt habe.«
»Auch wieder wahr. Ich glaube nicht, dass ich es über mich
bringen würde, jemals wieder aus New York wegzugehen«, sagt er und versetzt mir damit einen weiteren schmerzhaften Stich.
Schon den ganzen Vormittag sagen wir die falschen Sachen zueinander – wenn wir es überhaupt schafen, irgendetwas zu sagen.
Ich habe ein paarmal versucht, die Sprache darauf zu bringen, wie es mit uns weitergehen soll, während Capote das Thema bewusst zu vermeiden scheint. Ich vermute, das ist auch der Grund, warum er mir jetzt einen Vortrag über die Geschichte der Penn Station hält.
»Capote?«, versuche ich es noch einmal.
»Oh nein, schau mal, wie spät es schon ist«, sagt er im selben Moment und zeigt auf die Uhr. »Nicht dass du noch deinen Zug verpasst.«
Wüsste ich es nicht besser, würde ich denken, er will mich loswerden.
»Es war eine schöne Zeit, oder?«, sage ich und stelle mich ans Ende der Schlange vor dem Ticketschalter, um meine Fahrkarte zu kaufen.
»Wunderschön.« Für einen Moment bröckelt sein Schutzwall, und ich sehe wieder den kleinen, verletzlichen Jungen in ihm.
»Du könntest mich in Providence besuchen …«
»Klar«, sagt er, aber sein ausweichender Blick straft ihn Lügen. Bis dahin wird er wahrscheinlich längst eine Neue haben. Wenn ich jetzt nicht fahren müsste, würden wir vielleicht zusammenbleiben.
Vielleicht …
Nachdem ich meine Fahrkarte besorgt habe, greift Capote nach meinem Kofer und trägt ihn neben mir her, während ich mir noch schnell die aktuelle Ausgabe der New York Times und
der Post kaufe – zum vorerst letzten Mal, wie mir wehmütig bewusst wird. Dann fahren wir die Rolltreppe hinunter, die zu meinem Bahnsteig führt. Auf dem Weg in die Tiefe spüre ich in mir nichts als grenzenlose Leere. Das war es jetzt also endgültig, denke ich. Es ist vorbei.
»Alles einsteigen bitte«, dröhnt eine Stimme aus den Lautsprechern.
Ich stelle einen Fuß auf die erste Stufe und zögere. Wenn Capote doch nur nach meiner Hand greifen und mich zurück auf den Bahnsteig ziehen würde. Wenn doch nur plötzlich der Strom ausfallen würde. Wenn doch nur irgendetwas passieren würde – ganz gleich, was –, das mich davor bewahrt, in diesen Zug zu steigen. Ich blicke über die Schulter und sehe Capote in der Menge stehen.
Er winkt.
Die Fahrt nach Hartford dauert drei Stunden. Während der ersten Stunde sitze ich wie ein Häufchen Elend da und bin fassungslos. Ich kann nicht glauben, dass ich aus New York wegfahre, kann nicht glauben, dass ich Capote verlassen habe. Was ist, wenn ich ihn nie wieder sehe?
Alles ist falsch gelaufen. Eigentlich hätte Capote mir zum Abschied sagen müssen, dass er mich für immer lieben wird.
»Müssen«, erinnere ich mich plötzlich noch vor nicht allzu langer Zeit zu Samantha und Miranda gesagt zu haben, »ist das schlimmste Wort, das es gibt. Die Leute denken immer, die Dinge ›müssten‹ so und so sein, und wenn sie es nicht sind, sind sie enttäuscht.«
»Was ist mit dir passiert?«, erkundigte sich Samantha. »Bist
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