Summer and the City - Carries Leben vor Sex and the City: Band 2 (German Edition)
sterbenslangweilig vorkommen, oder? Nach der Zeit in Los Angeles, meine ich.«
Sie schüttelt den Kopf. »Ich bin ein Kleinstadtmensch. Ich bin hier ganz in der Nähe aufgewachsen, in Scarborough«, erzählt sie. »Und außerdem macht mir mein neuer Job in der Schulbücherei unheimlich Spaß.«
»Aber das ist noch nicht alles.« Mein Vater stupst sie zärtlich in die Seite. »Wendy wird bald auch Schauspiel unterrichten.«
Ich zucke innerlich zusammen, als mir klar wird, womit ich es hier zu tun habe: Mädchen aus der Kleinstadt versucht ganz groß rauszukommen, scheitert und kommt nach Hause zurückgekrochen, um Lehrerin zu werden. Genau das, wovor ich mich am meisten fürchte.
»Dein Vater hat mir erzählt, dass du gern schreibst«, fährt Wendy unbekümmert fort. »Hast du dir schon mal überlegt, für den Castlebury Citizen zu arbeiten?«
Ich erstarre. Der Castlebury Citizen ist das Käseblatt unserer Kleinstadt, in dem hauptsächlich Artikel über die Sitzungen des Bauausschusses und Schnappschüsse von den Spielen des Pee-Wee-Baseballteams veröfentlicht werden. Wäre ich eine Comicfigur, würde mir jetzt wütend Dampf aus den Ohren zischen. »Glauben Sie etwa, dass ich nicht gut genug bin, um es in New York zu schafen?«
Wendy runzelt verwirrt die Stirn. »Ich meine nur, weil das Leben dort so anstrengend ist. Das fängt schon mal damit an, dass man in den meisten Gebäuden in den Keller gehen muss, um seine Wäsche zu waschen. Eine Freundin von mir hat mal in New York gelebt und erzählt, dass …«
»In dem Gebäude, in dem ich wohne, gibt es keinen Waschkeller«, unterbreche ich sie und werfe einen Blick in die Karte, um meinen Frust zu verbergen. Wie kann Wendy es wagen, aufgrund der Erzählungen einer Freundin irgendwelche Vermutungen
über New York anzustellen? »Ich bringe meine Sachen immer in den Waschsalon«, schiebe ich spitz hinter, auch wenn das nicht ganz der Wahrheit entspricht. In der Regel werfe ich sie auf den Klamottenberg in einer Ecke des Schlafzimmers, der bereits eine beträchtliche Höhe erreicht hat.
»Niemand hat die Absicht, in irgendeiner Weise deine Fähigkeiten anzweifeln, Carrie …«, beginnt mein Vater, aber ich habe genug gehört.
»Natürlich nicht«, fahre ich ihn an. »Dafür müsstet ihr euch ja zuerst einmal für mich interessieren.« Ich schiebe lauter als nötig den Stuhl zurück, stehe auf und stürme mit brennenden Wangen davon, um die Toilette zu suchen.
Ich bin stinksauer. Auf meinen Vater und auf Wendy, weil sie mich in diese Lage gebracht haben, vor allem aber auf mich selbst, weil ich die Beherrschung verloren habe. Dadurch erscheint Wendy jetzt wie die Liebenswürdigkeit in Person, während ich wie ein eifersüchtiges, unreifes Gör dastehe. Das heizt meine Wut nur noch mehr an und bringt mich dazu, mir alles ins Gedächtnis zu rufen, was ich an meinem Leben und meiner Familie immer schon gehasst, jedoch nie zugegeben habe.
Als ich die Toilette gefunden habe, schließe ich mich in eine Kabine ein, klappe den Deckel herunter und setze mich hin, um in Ruhe nachzudenken. Was mich wirklich maßlos ärgert, ist die Tatsache, dass mein Vater meinen Wunsch Schriftstellerin zu werden, nie ernst genommen hat. Ich kann mich nicht erinnern, dass er mich jemals ermutigt oder mir gesagt hätte, dass ich Talent habe. Und vermutlich wäre mir das mein ganzes Leben lang nicht aufgefallen, wenn meine Mitschüler an der New School nicht wären. Es ist ziemlich ofensichtlich, dass es Ryan,
Capote, L’il und selbst Rainbow nie an elterlicher Unterstützung gemangelt hat. Nicht dass ich mit ihnen tauschen möchte, aber es würde mir auch nicht schaden, wenn mein eigener Vater an mich und meine Begabung glauben würde.
Ich tupfe mir die Augen mit Toilettenpapier ab und atme tief durch. Bevor ich ins Restaurant zurückkehre und mich wieder zu den beiden setze, muss ich mir etwas einfallen lassen, um mein unangemessenes Verhalten zu erklären, und zwar schnell.
Im Grunde bleibt mir nur eins: so zu tun, als wäre nie etwas passiert. Genauso würde Samantha es machen.
Ich strafe die Schultern und stolziere mit hoch erhobenem Haupt an den Tisch zurück.
Zwischenzeitlich sind Missy und Dorrit eingetrofen – sowie eine »nach alter Tradition« mit Bast umwickelte Flasche Chianti, die auf dem Tisch steht. In New York würde ich mich schämen, so einen Wein zu bestellen.
Mit einem schmerzhaften Stich wird mir bewusst, wie absolut klischeehaft das alles ist. Mein Vater, der
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