SUMMER DAWN (Sommerdämmerung) (German Edition)
hasste dieses Gefühl. Er hätte alles gegeben dafür, es endlich loszuwerden. Endlich erlöst zu werden. Endlich Ruhe zu finden. Er starrte auf den Umschlag. Seine Verzweiflung verwandelte sich in Wut und zurück zu einer schweren Last auf seinem Herzen.
Zur Hölle mit diesem Wahnsinn! Ich verlier den Verstand.
Er packte das Ding mit zittrigen Fingern. Er riss ihn auf und entnahm ein zusammengefaltetes Blatt Papier. Es war mit einer herkömmlichen Computerschrift bedruckt.
«Timothy Saunders, bald wirst du dich als nützlich erweisen können. Ich beobachte dich. Ich folge jedem deiner Schritte. Die Frau in Singapur. Sie hatte niemandem etwas getan. Das gilt leider nicht für ihren Geschäftspartner. An seiner Stelle musste sie sterben. Willst du diese Last noch lange auf deinen Schultern tragen? Du wirst deine Schuld reinwaschen müssen. Vor Gott und vor der Welt. Der erste Teil ist deine Aufgabe. Beim zweiten werde ich dir helfen. Ich weiß Bescheid. Der Koffer, den ihr in St. Moritz gestohlen habt. Der Inhalt ist gefährlich. Du musst ihn mir besorgen. Dann kann ich dir weiterhelfen. Lass dir etwas einfallen! Tausch ihn aus! Nimm ihn an dich! Töte den Käufer, falls nötig! Aber nicht Nummer eins. Ich brauche ihn lebend, um jeden Preis. Bring den Koffer anschließend an einen sicheren Ort! Die Übergabe darf auf keinen Fall gelingen. Du brauchst keine Angst zu haben, ich bin auf deiner Seite. Wenn du mitspielst, werde ich dir ebenfalls helfen, aus der ganzen Sache rauszukommen. Du hörst von mir. Ein Freund.»
Fünfzehntes Kapitel
Doppeltes Spiel
1
Es war ein drückend heißer Nachmittag. Grelles Licht fiel in das schäbige Zimmer der Pension. Tony ignorierte für einen Moment den pochenden Schmerz in seinem verschwitzten, geschundenen Körper und schaute hinüber zum Havering.
Der FBI-Mann war in seinen Sessel hineingesunken und starrte müde ins Leere.
Der Asiate namens Naoto stand am Fenster und hatte sich an der Wand angelehnt, die Arme verschränkt. Er wirkte wach und entschlossen.
Unser Retter. Merkwürdig nur, dass er ständig einen seiner schwarzen Anzüge trägt, dazu ein weißes, kragenloses Hemd. Schwarze Krawatte. Selbst bei der Hitze. Ich frage mich, welche Funktion der Mann genau bei seinem Unternehmen innehat. Vielleicht gehört er zum internen Sicherheitsdienst. Jedenfalls scheint er sich mit Nahkampf auszukennen.
Fünf Tage waren seit der Nacht in Gefangenschaft vergangen, und die Stimmung hatte sich mit jedem Tag verschlechtert. Wie sich herausgestellt hatte, waren sämtliche von Tonys Konten gesperrt worden, nicht nur die geschäftlichen. Die einzige Bankverbindung, welche noch intakt schien, war das Depot bei einer Schweizer Privatbank, wo sich Tony in Zürich bereits einmal einen Zustupf geholt hatte. Der kleine Rest, der noch übrig war, reichte nicht mehr sehr weit. Tony fühlte sich einerseits elend, andererseits seltsam erleichtert.
Ich glaube, ich verliere langsam, aber sicher den Verstand. Ich werde wegen Terrorismusverdacht international gesucht, und die Regierung hat mir gerade den Hahn abgedreht. Bis auf den letzten Cent. Na prima!
Auf einmal flog die Tür auf: Natalia trat schnaufend durch die Tür. Alle blickten erschrocken auf. Sie schloss die Tür hinter sich. «Sorry! Ich wollte niemanden erschrecken. Aber ich glaube das wird euch interessieren!»
Natalia räusperte sich und sortierte das lose Bündel Blätter in ihren Händen. «Ich habe mich die letzten Tage gemeinsam mit Havering intensiv mit allen bisher bekannten Informationen beschäftigt, insbesondere mit den 75 Tweets. Wir haben alle möglichen und unmöglichen Bedeutungen der einzelnen Hinweise überprüft und einige Theorien aufgestellt. Danke, Ryan! Deine Mitarbeit war sehr hilfreich.»
«Keine Ursache.» Haverings Bescheidenheit war augenscheinlich.
Natalia fuhr fort. «Eine meiner zugebenermaßen naheliegenden Vermutungen war, dass die Namen der Städte, welche Carl in seinen Tweets erwähnt hat, etwas zu bedeuten haben. Vielleicht Einsatzorte der Legion oder Aufenthaltsorte von Carl zum jeweiligen Zeitpunkt. Vielleicht wollte er uns aber auch etwas ganz anderes damit sagen, was für fremde Augen verborgen bleiben würde. Vielleicht eine Verbindung unter den Orten? Ryan und ich haben alle möglichen Zusammenhänge untersucht, welche uns in den Sinn gekommen sind. Angefangen mit der Reihenfolge chronologisch nach Zeitpunkt des Tweets. Das schaut dann folgendermaßen aus, der
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