SUMMER DAWN (Sommerdämmerung) (German Edition)
fast 13 Uhr in Paris, früher Morgen New Yorker Zeit.
Die sind sechs Stunden im Hintertreffen. Ich muss Miss Kelly erreichen und sie zu meinem Apartment senden, um mir umgehend das Buch per Express nach Paris zu schicken. Moment. Ich will mein Buch nicht auch noch riskieren. Scannen fällt ebenfalls weg, sonst wird am Ende noch der Maßstab verändert, und die Schablone passt nicht mehr. Am besten soll sie mir eine Fotokopie der Seite machen und per Kurier übermitteln. Und das Buch mit zu sich nach Hause nehmen. Bei mir ist es nicht sicher. Hoffentlich ist es überhaupt noch da.
Ein weiterer Schwall von Panik durchfuhr ihn. Mist! Ich habe mich nicht darauf geachtet, an dem Morgen nach dem Theater mit den K.O.-Tropfen. Ich kann nicht sagen, ob ich es in meinem Bücherregal erblickt hätte. Hoffentlich, hoffentlich ist es noch da!
9
Sandra Kelly klang noch etwas schlaftrunken am Telefon – und war erstaunt über die Spezialwünsche ihres Bosses. «Sind Sie sicher, dass alles in Ordnung ist? Ich mache mir Sorgen.»
Tony beruhigte sie, so gut es ging. Dies fiel ihm schwer, er konnte schwören, dass sie seinen gehetzten Zustand riechen konnte durch die Leitung. Sie versprach, sich umgehend darum zu kümmern.
Tony legte auf. Er hockte auf der Bettkante und starrte auf den Boden.
Was, wenn der Killer zurückkommt? Meine Hände zittern. Irgendwas regt sich in mir. Warum denke ich jetzt an eine Linie? Ich hatte noch nie einfach so ein Verlangen danach. Wo kriege ich hier was? Blöder Mist! Als wenn ich nicht schon aufgebracht genug wäre!
Tony verspürte eine Finsternis in sich, die seine Seele umgarnte. Panik befiel ihn, abgelöst von einer kalten Schroffheit und einem Adrenalinschub wie vor einer grossen Schlacht.
Meine dunkle Seite. So sieht sie also aus. So etwas habe ich noch nie verspürt. Wie ein Alter Ego, das nach Drogen, Rausch und Vergeltung schreit. Blut, Schnaps und Kokain. Und Rache.
Das Wort blieb für einen Moment im Raum vor ihm hängen. Drohte, ihn aufzufressen.
Seine Muskeln spannten sich auf einmal an. Er stand ruckartig auf, ballte die Fäuste, sodass ihn die Finger schmerzten. Er stieß einen lange unterdrückten Schrei aus und sank auf die Knie.
Tränen rannen über sein Gesicht.
Seine Hand ertastete die Wodkaflasche, welche neben ihm am Boden stand, er presste einen weiteren tiefen Schluck in sich hinein.
Das machte seine Wut nur noch stärker.
Er schleuderte die Flasche an die Wand des Hotelzimmers, sie zersprang in tausend Stücke. Tony riss sich das Hemd vom Leib, fegte es in die Ecke und biss sich so stark auf die Zähne, dass sie knirschten.
Da ist ein Tier in mir erwacht, das lange geschlummert hat. Ein Berserker, ein alter Krieger. Ich werde sie kriegen! Und wenn es das Letzte ist, was ich tue.
Langsam entspannten sich seine Nerven wieder, der finstere Gemütszustand flachte ab. Sein Körper erschlaffte.
Leer und bedeutungslos. Alles was übrigbleibt, ist Leere und erbärmlicher Missmut.
Tony verbrachte den Rest des Tages mit dem unermüdlichen Versuch, die Geschehnisse der letzten Tage vor sich auszubreiten. Sich zu beruhigen. Sich auszuruhen. Es gelang ihm nicht.
Er sammelte die Scherben der Wodkaflasche mit bloßen Händen zusammen und schnitt sich dabei in die Finger. Blut tropfte auf den Boden. Es war ihm egal.
Beiläufig wischte er die roten Flecken mit einem Handtuch weg. Er ging in das Badezimmer, um es an eine der Stangen neben dem Waschbecken zurückzulegen. Als er sich wieder aufrichtete, erblickte er sein Spiegelbild und erschrak.
Wer bist du? Was tust du hier? Schwarze Augenringe. Fahles Gesicht. Eingefallene Wangen. Blutunterlaufende Pupillen. Ich seh aus wie eine gottverdammter Junkie. Das Einzige an mir, was noch einigermaßen vernünftig aussieht, sind meine Haare.
Tony strich sich eine Strähne aus dem Gesicht, welche ihm bis zum Kinn reicht und wandte sich ächzend vom Spiegel ab. Er verbarrikadierte sich für den Rest des Tages in seiner Kammer.
Für heute habe ich genug. Die Welt kann mich mal! Bevor ich die Kopie nicht habe, komm’ ich eh nicht weiter.
Er bestellte eine weitere Flasche Wodka und ein Thunfisch-Sandwich auf sein Zimmer und schmiedete Pläne.
Am frühen Abend war die Wodkaflasche halb leer und Tony in einen unruhigen, betäubten Schlummer gesunken.
Tony schrak auf. Licht drang durch die halb geschlossenen Jalousien ins Zimmer. Es war früh am Morgen. Jemand klopfte an seine Tür.
Weitere Kostenlose Bücher