Summer Westin: Todesruf (German Edition)
spannende Sachen bei!« Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht. »Und Michael ist auch nett«, fügte sie hinzu. »Der kennt tolle Geschichten über Bären. Irgendwann darf ich mal einen mit ihm fangen gehen.« Sie sah ihn unter ihren langen Wimpern heraus an.
Gerade mal 13 Jahre alt, aber wie man flirtete, das wusste sie! Warme, karamellfarbene Augen, Lippen wie eine Rosenknospe – genau wie seine Frau Laura, die noch immer mit einem ihrer anzüglichen Blicke sein Blut in Wallung bringen konnte. Und wieso redete dieser Michael mit Lili über Bärenjagd? War das pure Teenager-Großspurigkeit?
Er beschloss, das Thema zu wechseln. »Was machst du heute mit Tante Summer?«
»Ich lerne, wie man Tierspuren liest und so was«, erwiderte Lili. »Außerdem führe ich ein Interview mit ihr, für mein Schulprojekt.« Und, fast unhörbar, fügte sie hinzu: »Mit der kann man wenigstens reden.«
Sam hielt ein Teströhrchen in den namenlosen Creek. Auch wenn es lange nicht so interessant war wie Bären verfolgen, bildete die Überprüfung sämtlicher Wasserquellen einen notwendigen Bestandteil einer Umweltstudie. Das Wasser war klar, aber inzwischen konnte sie nicht mehr ausschließen, dass die alten Minen in der Gegend es verunreinigt hatten. Auf ihrer Karte waren keine Minen eingezeichnet, aber genau das war das Problem. Die Mine am Marmot Lake stand auch nicht auf ihrer Karte.
Sie stöpselte das Röhrchen zu, beschriftete es, steckte es wieder in ihren Rucksack, stand auf und bürstete sich die Erde von der Hose. Die nächstgelegene Straße verlief zwei Meilen entfernt. Sam genoss es, sich endlich wieder ihrer Studie zuwenden zu können und eine Zeit lang nicht unter Menschen sein zu müssen. Der Sommertag war angenehm warm, und ausnahmsweise war sie froh, dass ihr Uniformhemd kurze Ärmel hatte. Mithilfe ihres Handheld-GPS wanderte sie an der Grenze des Lands entlang, das vor Kurzem dem Nationalpark zugeschlagen worden war, und lauschte dem melodiösen Gesang der Zaunkönige und dem hohen, warnenden Geplapper der Backenhörnchen.
Sie überraschte zwei schlaksige Columbia-Schwarzwedel-Böcke, die vor ihr in den Wald flüchteten. In der Nähe einer Ansammlung von Rohrkolben in einem jahreszeitlich bedingten Feuchtgebiet fand sie Spuren, die eventuell von Raider stammen konnten. Einen Schwarzbären entdeckte sie allerdings nicht.
Gerade als sie aus einem Sitkafichtenhain treten wollte, schwirrten gestreifte Flügel durch die Äste über ihr. Ehrfürchtig beobachtete sie, wie der Vogel im Nadeldach der Baumkrone verschwand. Ohne ihr Bestimmungsbuch konnte sie nicht sicher sein, aber er hatte ausgesehen wie ein Fleckenkauz.
Sie wollte ihre Entdeckung schon in ihr Notizheft eintragen, aber als ihr Kugelschreiber die Seite berührte, kamen ihr Zweifel. In dieser Gegend würde die Nachricht, dass ausgerechnet hier diese vom Aussterben bedrohte Art entdeckt worden war, eventuell Wilderer in den Wald locken. Sie beschloss, Peter Hoyle um Rat zu fragen. Vielleicht konnte sie dadurch wieder ein bisschen Boden bei ihm gutmachen. Sie schob sich das Klemmbrett unter den Arm und ging weiter.
Die Eulen hatten hier noch genügend Lebensraum, genau wie Elche, Bären, Salamander und Eichhörnchen. Es tat immer wieder gut festzustellen, dass es die Menschheit noch nicht geschafft hatte, den gesamten Planeten zu schädigen. Nicht einmal bei diesem Gebiet war ihr das gelungen, obwohl es seit Jahrzehnten zu allen möglichen Zwecken gedient hatte. Sie hoffte, mit ihrem Managementplan dazu beizutragen, dass dieser Ort auch in Zukunft nicht von Menschen ruiniert werden würde.
Das fünfte Schild, das die Grenze des Nationalparks markierte, prangte an einer riesige Douglasfichte, knapp zwei Meter über dem Boden.
Olympic National Park Grenze
Jagen jenseits dieser Grenze verboten
Das Schild war unbeschädigt, genau wie die vier davor. Gut. Das nächste allerdings, etwa 200 Meter weiter entlang der unsichtbaren Grenze im Osten, wies drei Löcher auf – eine Botschaft aus einem Gewehr. Daneben hing ein Schild mit der Aufschrift Das ist EUER Land .
Sie hörte, wie hinter ihr etwas auf den Boden fiel, und drehte sich um. Ein vor sich hin plapperndes Eichhörnchen hüpfte über einen Zweig ganz in ihrer Nähe. Unter dem Baum lag ein großer Tannenzapfen. Das war es vermutlich, was sie gehört hatte: einen fallenden Zapfen.
Sie zog einen Hammer aus ihrem Rucksack, nahm das von Kugeln zersiebte Grenzschild ab und nagelte ein neues aus ihrem
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