Summer Westin: Todesruf (German Edition)
nur Zeitangestellte, kein Ranger. Ich bin nur drei Monate lang hier.«
»Aber Sie sind doch aufs College gegangen?«, hakte Blackstock nach.
»Ja.« Und was hatte ihr das gebracht? »Ich habe ein Diplom in Wildbiologie.«
»Sie haben also alles über wild lebende Tiere gelernt. Und was machen Sie, wenn Sie nicht als Ranger arbeiten – äh, beziehungsweise als Aushilfe?«
Sie erzählte ihnen von ihrer Arbeit als freiberufliche Journalistin. Keiner der Teenager hatte eine Bemerkung zu ihrem Diplom gemacht, und niemand sagte »Geil!«, als sie von Artikeln über Naturschutz sprach. Das war ihre größte Angst – dass sich die nächste Generation einfach nicht für die Natur interessierte.
»Wie viel verdienen Sie?«, fragte Ben.
Warum war das immer die erste Frage? Lili hatte das auch sofort wissen wollen. »Mir war Abwechslung und Unabhängigkeit wichtiger als Sicherheit«, antwortete sie ehrlich. »Ich verdiene nicht viel Geld. Das hat mir selten was ausgemacht, aber jetzt, mit der Wirtschaftskrise, ist es nicht einfach. Ich bin selbstständig, also bekomme ich nur Geld, wenn ich einen Auftrag habe. Heutzutage wünsche ich mir, ich hätte einen festen Job und regelmäßige Gehaltszahlungen auf meinem Konto.«
»Als wenn ein fester Job so leicht zu finden wäre«, bemerkte einer der Jugendlichen.
»Um über die Runde zu kommen, teile ich mir die Wohnung mit jemandem«, fuhr sie fort, um ihnen klarzumachen, dass man auch ohne das Gehalt eines leitenden Angestellten zurechtkommen konnte. »Sein Name ist Blake.«
»Wohnung teilen. Klar doch.« Einer der Jungen nickte wissend. Ein anderer verdrehte die Augen. Was stellten sie sich jetzt vor? Einen älteren reichen Mann? »Blake ist schwul«, fügte sie hinzu. Wieso fühlte sie sich genötigt, sich diesen Jugendlichen zu erklären? Das würde Tom ihr noch büßen müssen.
Zu ihrer Überraschung gab es keine abwertenden Kommentare zu ihrer Wohngemeinschaft mit einem Schwulen. Die Welt hatte sich sehr verändert, seit Sam in dem Alter gewesen war wie diese Teenager jetzt.
Nachdem alle geduscht hatten und in ihren jeweiligen Zimmern verschwunden waren, wandte Sam sich an Maya, die in einem blauen Unterhemd und Boxershorts auf ihrem Bett lag und sich die Füße einrieb. »Ich habe allen erzählt, wie ich hier gelandet bin. Und wie war das bei dir, Maya?«
»Einbruchsdiebstahl.« Maya zupfte an ihrem großen Zeh, bis das Gelenk knackte. »Kennen Sie das, diese zwei Stunden, wenn die Schule bereits aus ist, die Leute aber noch nicht von der Arbeit zurück sind? Der ideale Zeitpunkt, um in die Häuser in den besseren Vierteln einzusteigen.« Sie sah hoch und lächelte. »Sie wären erstaunt, was man da alles mitgehen lassen kann.«
»Das glaube ich gern.« Sam war froh, dass sie einen Mitbewohner mit unvorhersehbarem Dienstplan hatte.
Maya zog die Beine an, verschränkte sie zum Lotussitz und seufzte wehmütig. »Das waren die guten alten Zeiten.«
»Für die Leute, die du beklaut hast, waren sie das wohl eher nicht.«
Das Mädchen zuckte mit den Schultern. »Diese Leute hatten so viel Zeug, die haben es meistens nicht mal vermisst.«
Sam musste an einige Familien in ihrem Bekanntenkreis denken, die derart viel in ihren Garagen stehen hatten, dass für die Autos kein Platz mehr war. Fast war sie geneigt, Maya zuzustimmen. »Trotzdem«, sagte sie. »Es war deren Zeug.«
Maya stand auf und griff nach ihrem MP3-Player, der auf dem Bett über ihr lag. »Armen Leuten würde ich nie was klauen.«
»Gut zu wissen, dass ich vor dir sicher bin.« Sam schlug ihre Bettdecke zurück.
»Ich mache so was sowieso nicht mehr«, fügte Maya hinzu, als wäre ihr gerade erst wieder eingefallen, dass sie jetzt resozialisiert war.
»Schön für dich. Ich glaube, Lehrerin ist ein besserer Job als Fassadenkletterin.« Sam schnappte sich eins ihrer Kissen und schüttelte es auf, um die verklumpte Füllung gleichmäßiger zu verteilen.
Maya lachte. »Erzähl ihnen, was sie hören wollen. Queso muss Berichte schreiben.« Sie kroch wieder unter die Decke, steckte sich die Kopfhörer ins Ohr, schloss die Augen und nickte mit dem Kopf zum Rhythmus einer Musik, die nur sie hören konnte.
Sam betrachtete sie einen Moment lang. Welches war die echte Maya – die ausgebuffte Diebin oder die zukünftige Lehrerin? Diese Teenager waren schon beängstigende Wesen. Nur gut, dass sie keinen zu Hause sitzen hatte. Eine Katze war schon mysteriös genug.
»Licht aus!«, rief Blackstock vom Flur
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