Summer Westin: Todesruf (German Edition)
können, bevor sie ihn bemerkte. Doch sie kam auf seinen Wagen zu und besaß sogar die Frechheit, an seine Scheibe zu klopfen.
Er runzelte die Stirn, dann drückte er auf den Knopf, mit dem man das Fenster herunterließ.
»Hallo.« Ihre Stimme war tiefer, als er das bei einer so kleinen Frau erwartet hätte. »Ich habe Sie auf der Tribüne gesehen. Kennen wir uns?«
»Nein.« Er kniff die Augen zusammen und gab sich alle Mühe, möglichst feindselig zu schauen.
Dennoch streckte sie die Hand durch das offene Fenster. »Ich bin Sam Westin.«
»Ich weiß, wer Sie sind. Ich habe Sie im Fernsehen gesehen.« Er starrte auf ihre Hand. So zarte Finger! Er könnte das Fenster einfach hochgleiten lassen und ihren winzigen Arm am Handgelenk abtrennen. Sein Finger lag noch immer auf dem Knopf.
Eine Spur von Unsicherheit huschte über ihr Gesicht, dann zog sie die Hand zurück. »Tut mir leid. Wie heißen Sie noch mal?«
»Ford. Garrett Ford.«
»Nett, Sie kennenzulernen. Ich wusste nicht, dass ich ins Fernsehen kommen würde. Mich hat das genauso überrascht wie alle anderen.«
»Jede Wette«, entgegnete er trocken und ließ den Motor an.
Sie trat zurück. Er ließ das Fenster hochgleiten und parkte aus. Als er im Rückspiegel ihr verdutztes Gesicht sah, konnte er sich das Grinsen nicht verkneifen.
14
Als Sam bei der Unterkunft ankam, saß der Wegetrupp hinter dem Haus um ein knisterndes Lagerfeuer.
»Wir haben Sie beim Essen vermisst«, sagte Tom Blackstock, als sie sich neben ihn setzte. »Das von Lisa haben Sie bestimmt schon gehört?«
Sam nickte. Die Jugendlichen waren schweigsam. Sie starrten in die Flammen oder stocherten mit Stöcken in den Kohlen herum. Wären sie älter gewesen, hätte Sam ihnen vielleicht etwas von dem Wein angeboten, aber so konnte sie sie nur mit Nachtisch zu trösten versuchen. Sie hielt die Einkaufstasche hoch. »Was haltet ihr von S’mores? Ich habe alles Nötige mitgebracht.«
Das Rösten der Marshmallows brachte ein wenig Schwung in die Gruppe. Während sie den Nachtisch aßen, ermunterte Blackstock die Jugendlichen, darüber zu reden, was sie in Zukunft tun wollten.
»Auf einer Yacht im Südpazifik leben«, plapperte einer der Jungs drauflos. Ein paar andere gaben prustende Geräusche von sich. Sam runzelte die Stirn. Schade, dass sie das so schnell ins Lächerliche zogen. Sie hätte gern noch eine Zeit lang bei dem Traum von einem Boot in den Tropen verweilt.
»Ich werde Rapper«, sagte ein anderer. Wieder wurde gekichert, und einige machten typische Rapper-Gesten. »Könnte doch sein«, verteidigte der Junge seine Idee.
»Ich ziehe nach Tennessee und werde NASCAR-Fahrer«, steuerte der Junge mit den zerzausten Haaren bei, der neben dem Rapper saß.
Dann blieb es eine Weile still, während die anderen nachdachten. Sam fragte sich, welche Zukunftspläne wohl in Lisa Glass’ Kopf herumgeschwirrt waren. Hatte Tom dieses Gesprächsthema gewählt, weil es für Lisa plötzlich keine Zukunft mehr gab? Oder hatte er einfach mit den Jugendlichen darüber reden wollen, was aus ihnen werden würde, wenn sie in ein paar Wochen nach Hause fuhren?
Ben Rosen suchte für seine Marshmallows eine günstige Stelle über den Flammen. »Ich will Drogenberater werden«, murmelte er leise, ohne den Blick vom Feuer abzuwenden.
»Prima Idee«, ermutigte Blackstock ihn. Andere nickten zustimmend. Wie viele dieser Jugendlichen hatten zu Hause wohl eine cracksüchtige Mutter oder einen alkoholabhängigen Vater?
Maya räusperte sich und sagte dann: »Ich möchte Lehrerin für Kinder mit Lernschwierigkeiten werden.« Sie ließ den Blick über die Gruppe schweifen, als wolle sie die Jungen warnen, sie deswegen zu verspotten. Alle nickten.
Sam war gerührt. Sie hatte in ihnen nur die schwierigen Jugendlichen gesehen, nicht die Erwachsenen, die sie bald sein würden. Blackstock ließ sie Ideen sammeln, wie sie ihre Ziele erreichen könnten. Sie redeten ein bisschen über die Schule, und auch wenn sich keiner von ihnen darauf freute, sagten sie doch alle, dass sie ein weiteres Jahr hingehen oder – im Fall der beiden über 18-jährigen Jungen – ihren Schulabschluss machen würden.
»Ranger Westin ist aufs College gegangen«, sagte Blackstock. Alle Gesichter drehten sich in ihre Richtung. »Erzählen Sie ihnen, wie das Ihr Leben verändert hat.«
»Nun ja.« Schlechte Idee, Tom , hätte sie ihn am liebsten gewarnt. Was sollte sie sagen? »Also erst mal: Nennt mich Sam, nicht Ranger Westin. Ich bin
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