Summer Westin: Verhängnisvolle Spuren (German Edition)
sonderlich beeindruckt von ihrer Entdeckung bei Wilson zu sein. »Ja, Ma’am«, antwortete sie in honigsüßem Südstaaten-Tonfall. »Danke für die Mitteilung.«
Sam mochte das nicht auf sich beruhen lassen. »Schauen Sie, Ranger …«
»Ranger Gates, Ma’am.«
»Ranger Gates, haben Sie auch verstanden, was ich gerade gesagt habe? Das Spielzeug, die Kekse, schlammbespritzte Kleidung und eine rote Baseballkappe? Ich habe die Kappe bei mir. Soll ich sie Ihnen gleich bringen?«
»Das hat Zeit, Miss Westin. Bitte beenden Sie erst die Suche in Ihrem Abschnitt.«
Sam knirschte mit den Zähnen. »Könnten Sie mich mit Ranger Castillo verbinden?«
»Ranger Castillo ist unterwegs und im Augenblick nicht zu erreichen, Ma’am.«
»Aber Sie werden die Information als wichtig einstufen?«, fragte Sam etwas außer Atem. »Ein Parkpolizist wird Wilson überprüfen?«
»Haben Sie irgendeine Spur von Zachary Fischer in Mr Wilsons Wohnmobil gesehen?«
»Nicht direkt. Nur seine Kappe.«
»Und Mr Wilson hat erklärt, dass er die Kappe heute Morgen am Fluss gefunden hat?«
»Ja.«
»Steht ein Name in der Kappe?«
Sam zog die Kappe aus dem Rucksack und sah nach. »Nein.«
»Und Mr Wilson hat ausgesagt, er hätte das Kind nicht gesehen?«
»Das ist richtig, aber Zack könnte dennoch im Wohnmobil versteckt sein.«
»Und hat irgendjemand in der Nähe den Jungen gesehen?«
Der Begriff »Indizienbeweise« tauchte in Sams Kopf auf. »Niemand«, antwortete sie unglücklich.
»Ich werde Ihre Beobachtungen weitergeben. So bald wie möglich wird ein Ranger mit Mr Wilson sprechen, und wir werden ihm nicht gestatten, den Park vorher zu verlassen. Bitte fahren Sie jetzt mit der Suche in Ihrem Abschnitt fort.«
Nach dem Auflegen fühlte sich Sam, als hätte sie eben vergebens versucht, einen Roboter zu beeindrucken. Sie wollte schon Kent anrufen, doch dann fiel ihr ein, dass der wahrscheinlich gerade schlief. Mit einem Fluch über Ranger Gates auf den Lippen legte sie Kappe und Handy in den Rucksack und suchte weiter.
Der letzte Parkplatz auf ihrer Karte lag am Fuße eines Steilhangs mit Namen Red Wall. Ein Dutzend Kletterer ließ sich gerade am glatten Stein herab. Die Jungen und Mädchen trugen alle türkisfarbene T-Shirts und Khaki-Shorts.
Oben stand ein dunkelhäutiger Junge mit dem Rücken zur Schlucht und sah über die Schulter dreißig Meter in die Tiefe.
»Scheiiiiße«, kreischte er und klammerte sich an die Seile.
Eine Männerstimme antwortete. »Wir halten dich schon. Es geht um Vertrauen, Mann.«
Das waren Leute von Outward Bound, einer Organisation, die mit solchen Aktionen jugendlichen Straftätern wieder auf den rechten Weg helfen wollte. Seit etwa zehn Jahren nutzte sie den Park.
Ein paar Jugendliche standen bereits unten und legten die Klettergurte unter den prüfenden Blicken eines Erwachsenen ab. Wahrscheinlich hatten sie vor knapp einer Woche noch rivalisierenden Gangs angehört und aufeinander geschossen.
Der Junge oben kletterte rückwärts über den Rand des Abhangs und stemmte die Beine gegen den Fels, hängte sich probeweise ins Seil. Dann beging er den Fehler, nach unten zu schauen. »Meine Scheiße!«
Selbst aus der Entfernung war zu erkennen, wie die Beine des Jungen zitterten.
Die Stimme des Betreuers klang völlig ruhig. »Mach einfach weiter.«
Der Junge drückte sich von der Wand ab, ließ das Seil locker und kam etwas weiter unten wieder mit den Füßen auf. »He, das klappt ja!« Er drückte sich wieder ab, schien Selbstvertrauen gewonnen zu haben. »Jippiiie!«
Der Schrei erinnerte Sam an Max Garay und seine über den Bildschirm tobenden Zwerggestalten. Sie zog die Kamera heraus, stellte auf Video und zoomte auf eine Rothaarige, die jetzt am Abhang stand.
»Cowabunga!«, schrie das Mädchen, stieß sich ab und glitt ohne Zögern am Seil herunter.
Der Junge war gerade unten angekommen und landete mit einem satten Knall auf der harten Erde, nur Sekunden später war auch der furchtlose Rotschopf da. Er hielt ihr die flache Hand entgegen. »Jau, Cameron.«
Sie klatschte ab. »Großartig, was, DeWitt?«
Sam lächelte und erinnerte sich an ihr erstes Mal. Wenn man Vertrauen zu den Kameraden und zur Ausrüstung hatte, war es ein einziger Spaß. Sie verstaute die Kamera und machte sich wieder an die Arbeit.
Kurz darauf wühlte sie in der letzten Abfalltonne in ihrem Abschnitt und stocherte mit einem Stock im übelriechenden Unrat, um sicherzugehen, dass dort kein Zweijähriger versteckt
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