Summer Westin: Verhängnisvolle Spuren (German Edition)
den Berichten der Pfadfinder und der Ranger. Ein kleiner Blechschaden am Nordtor führte zu einem Stau. Am Miller Bend Campingplatz war ein weiterer Diebstahl gemeldet worden. Das normale Parkleben lief weiter, selbst wenn ein kleiner Junge vermisst wurde.
Während ihrer kurzen Anstellung als Ranger hatte Sam an zwei Suchaktionen in der Wildnis teilgenommen. Sie war es nicht gewohnt, Orte abzusuchen, über die täglich Hunderte von Leuten liefen. Es schien unmöglich, noch irgendwelche Spuren zu finden. Sie schaute in Fahrzeuge, durchforstete jeden Winkel der Waschräume und Toiletten – selbst die der Männer, sehr zum Erstaunen eines Typen, der auf ihr Klopfen nicht geantwortet hatte. Von jedem Abfalleimer hob sie den Deckel, kroch in zwei Müllcontainer, sammelte Abfall hinter Autos, Picknicktischen und am Wegrand auf.
Mittags glaubte sie fest daran, dass die Menschen Schweine waren. Nein , korrigierte sie sich sofort. Das wäre eine Beleidigung für die Schweine. Keines dieser Tiere hinterließ eine solche Abfalllawine wie der durchschnittliche Homo sapiens.
Überall traf sie Kinder an. Viele von ihnen schienen jünger als vier zu sein, und mindestens die Hälfte der Kleinen hatte blondes Haar. Sie rannten auf den Wegen, fuhren Dreirad in den Wendekreisen. Woher hätte ein unbeteiligter Beobachter wissen sollen, welches Kind zu welcher Familie gehörte? Auch sie hatte sich nicht gefragt, ob der Mann am Ende des Pfads wirklich Zacks Vater war.
»Miss Ranger.« Ein Camper mittleren Alters kam auf sie zu und deutete auf den Picknicktisch. »Hier habe ich gestern Abend alles hingestellt.«
»Wie bitte?«
»Jemand hat meine Weintrauben gestohlen, samt einem halben Camembert und einem frischen Baguette.« Er verschränkte die Arme vor der Brust und starrte sie an. »Was soll ich denn jetzt essen?« Ungeduldig tippte sein Fuß auf den Boden.
Ein Kind war verschwunden und dieser Nichtsmerker wollte von ihr wissen, wo er seinen Lunch herbekam? Kein Wunder, dass sie keinen festen Posten als Ranger hatte annehmen wollen. Für so etwas war sie einfach nicht geduldig genug.
»Dieser Junge wird vermisst.« Sie knallte den Zettel auf den Tisch. »Und ich bin kein Ranger.«
Ein anderer Tourist erkundigte sich nach dem nächtlichen Heulen. Nur Kojoten, beschied sie ihm, in dieser Gegend gab es keine Wölfe. Kojoten-Charlie erwähnte sie lieber nicht, die Ranger hielten ihn für eine lächerliche Figur wie aus einem Comic, doch die Touristen konnten da ganz anderer Meinung sein. Außerdem waren die Chancen gering, dass ihn jemand hier unten hören konnte, wenn er auf dem Plateau heulte.
Sie hatte sich gerade auf Hände und Knie niedergelassen, um unter einem Wohnmobil nachzuschauen, als die Tür des Gefährts plötzlich aufging. Die scharfe Aluminiumkante kratzte über ihren Rücken und schepperte gegen ihren Rucksack. Ein großer Mann sprang schnell auf den Zementblock, der als Tritt diente. »Tut mir leid«, stieß er atemlos hervor. »Das blöde Schloss ist kaputt.«
Als sie sich aufgerappelt hatte, war sein Ton nicht mehr entschuldigend, sondern eher ärgerlich. Er streckte den Bauch raus, wobei sich die Micky Maus auf dem engen Hemd grotesk verzerrte. »Was zum Teufel suchen Sie hier eigentlich?«
Sie rieb sich den Rücken. Ein Kratzer, aber kein Blut. »Ich suche nach einem vermissten Kind.« Sie zog einen zerknitterten Zettel aus dem zusammengerollten Packen und hielt ihn dem Mann hin. »Der Junge ist gestern Abend verschwunden.«
Ein eigenartiger Ausdruck erschien auf dem Gesicht des Mannes, als er das Foto betrachtete. Auf dem Kopf war sein Haar dicht und braun, an den Seiten allerdings dünn und von grauen Strähnen durchzogen. Wusste der Kerl nicht, wie lächerlich ein billiges Toupet wirkte?
Beinahe zärtlich strichen seine Finger die Ecken des Papiers glatt. Mit der Zungenspitze fuhr er sich über die dicken Lippen. Sam spürte ein unangenehmes Prickeln im Nacken.
»Haben Sie Zachary gesehen?«, fragte sie.
»Heißt er so?«
Steht doch groß und deutlich unter dem Bild, dachte sie genervt und trat näher, um es ihm zu zeigen. Unter ihrem Fuß knirschte etwas. Ein blauer Plastikstein. Zwei rote und ein gelber lagen daneben. Sie hob sie hoch. »Gehören die Ihnen?«
Er brauchte eine Weile. »Lego«, sagte er schließlich.
Der Mann nahm ihr die bunten Steine ab, seine Finger fühlten sich klamm an. Er hielt die Hand mit den Steinen an die Brust und lächelte zögernd. »Für die Enkel.«
War das auch
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