Summer Westin: Verhängnisvolle Spuren (German Edition)
eine grüne Jacke heraus. Mit ungeschickten, steifen Fingern streifte sie die zerrissene Weste, die T-Shirt-Fetzen und den BH ab. Selbst wenn sie vollkommen nackt gewesen wäre, hätte sie nicht die Kraft aufgebracht, sich zu schämen. Dann schlüpfte sie in die Jacke und zog den Reißverschluss hoch. Flanellgefüttert. Wunderbar.
Chase hatte Zack die nassen Sachen ausgezogen und ihm ein Erwachsenen-T-Shirt und seine blaue Nylonjacke verpasst. Jetzt rieb er mit den Händen schnell über die kleinen Ärmchen. »Ist dir wärmer, Zack?«
Gute Idee. Sie kam auf die Füße, obwohl sie den Eindruck hatte, sich wie Frankensteins Monster zu bewegen. Mit den Händen über die Arme zu reiben war sehr anstrengend, aber es schien zu funktionieren.
Chase stellte Zack auf den Absatz. Die großen Kleidungsstücke hingen dem Kleinkind bis über die Füße. Zack schlang die Arme um ihr Bein und strahlte sie an. »Warm«, piepste er.
Obwohl sie von den Hüften abwärts noch klatschnass war, wurde auch ihr langsam wärmer. Prima, dass ihr die grüne Jacke so gut passte. Seltsam, denn sie fand nur schwer passende Kleidung … »He, das ist ja meine Jacke«, stellte sie fest.
»Euch Internetreportern entgeht auch nichts.« Chase grinste und wies mit dem Daumen nach hinten.
»Unterkühlung«, schob sie als Erklärung nach, als sie registrierte, dass sie sich anhörte, als wäre sie schwachsinnig.
Er nickte. »Habe die Jacke dort drinnen gefunden, zusammen mit anderen Sachen und jeder Menge Konserven. Davinski scheint schon lange die Touristen hier auszunehmen.«
»Hast du auf ihn geschossen?«
»Hab’s versucht, aber die Pistole hat versagt. Nass geworden wahrscheinlich.« Er rieb sich die nackten Arme.
Sie hatte Perez bislang noch nie ohne Jacke gesehen. Seine Arme waren schlank und muskulös. Sein Bauch war flach unter dem weißen T-Shirt. Er sah so … leistungsfähig aus. Wenn dieser verfluchte Albtraum endlich vorbei war, konnten sie vielleicht …
Plötzlich flammte Panik in ihrem unterkühlten Hirn auf. Sie hatte keine Zeit, den Körper eines Mannes zu bewundern! »Chase, mein Telefon! Die Jäger! Wir müssen sofort mit der Zentrale sprechen.«
»Eins nach dem anderen.« Er drückte ihr einen Energieriegel in die Hand. Sie starrte auf die Verpackung. War das derselbe, den sie gestern Abend verloren und heute Morgen neben sich gefunden hatte? Fast surreal, wie das Ding immer wieder auftauchte. Sie zog die Folie ab und nahm einen kleinen Bissen. Sie schmeckte die Süße. Dann hielt sie den Riegel Zack vor den Mund. Das Kind legte beide Hände darum und schob den Riegel rasch in den Mund.
Perez hatte sich hingehockt und beobachtete sie. »Du würdest eine gute Mutter abgeben.«
»Nein«, widersprach sie vehement. »Nein. Ich sorge für keinen.«
Er blickte ihr in die Augen. »Manchmal brauchen wir alle jemanden, der für uns sorgt.«
Stimmt , dachte sie bitter. Und wo warst du dann, als Zack und ich über einem zwanzig Meter tiefen Abgrund baumelten?
Zack hielt ihr das letzte Stück des Energieriegels mit beiden Händen hin. Sie biss ab, gab ihm den Rest zurück und wischte ihm einen Krümel vom Kinn. Das kalte Wasser hatte nicht nur ihre Kleidung, sondern auch ihre Gefühle aufgeweicht – sie unterdrückte einen Seufzer. Viele Male hatte sie ihrer Mutter Essen an die Lippen gehalten, viele Male hatte sie die Tropfen von den verkrampften Wangen getupft. Den bittenden Blick aus den graublauen Augen würde sie niemals vergessen. Worum hatte ihre Mutter sie gebeten? Unwillkürlich überlief sie ein Schauer. Selbst nach all diesen Jahren wusste sie es nicht.
Sie schluckte schwer. »Wo ist Davinski?«, fragte sie.
»Er ist abgehauen. In der hinteren Wand der Nische ist ein Loch. Er hatte es mit Steinen versperrt. Führt zu den Ruinen etwa zwei Meter oberhalb jener Stelle, an der Sie die Nacht verbracht haben.«
Das Loch in der Decke, die Fußspuren im Moos, die Feuchtigkeit überall. Sie hatte Stunden nur knapp unter dem Ausgang geschlafen. Hatte Davinski sie die ganze Nacht beobachtet? Hatte sie tatsächlich Zack gehört?
»Er hat einen ganzen Vorrat an Büchsen und gefriergetrockneter Nahrung dort, und noch andere Dinge: Kleidung, Taschenmesser, Streichhölzer und so was. Anscheinend waren sie eine ganze Weile dort – sieht so aus, als hätte Charlie, ich meine Karl, die Campingplätze systematisch nach Kleidung und Nahrung durchkämmt. Ein Buch liegt auch da. Der Weg der Anasazi. Die Techniker werden ihre Freude
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