Summer Westin: Verhängnisvolle Spuren (German Edition)
haben; eine krude Mischung aus demMother-Earth-Magazin und einer New-Age-Bibel.« Perez rieb sich über den langen Kratzer auf der rechten Wange. »Erst war ich dicht hinter ihm. Aber der Rucksack hat mich behindert. Davinski könnte schon halb den Berg runter sein.«
Richtig, Perez hatte ja ihren Rucksack getragen. Sie sah sich um und entdeckte das blaue Nylon an einer Wand neben der Feuerstelle. Schmutziges Wasser lief heraus. Sie mochte nicht an den Inhalt denken.
»David – so hat er ihn doch genannt, nicht wahr? David Davinski«, murmelte sie. Kalt, grau und tot. Jetzt begriff sie, was geschehen war. Der blaue Dämon. Ihre Ahnung, was Wilson betraf. Die Trauben. Selbst der Camembertduft, von dem sie angenommen hatte, sie bilde ihn sich nur ein, war real gewesen. »David ist – war – das Baby, mit dem Barbara Jean vor drei Jahren schwanger war. BJB und KJD.«
Perez runzelte die Stirn. »Ich komm nicht mehr mit.«
»Initialen – die haben sie in die Wand von einem Haus geritzt, nur ein paar Meter weiter. BJB und KJD. Barbara Jean und Karl. Die Handabdrücke im Zeichenzimmer.« Eine Familie: Vater, Mutter, Kind. Die von den Campingplätzen gestohlenen Sachen. Essen, Kleider, Kochgerätschaften. Kojoten-Charlie, der immer wieder gesichtet worden war. »Sie haben fast drei Jahre hier oben gelebt.«
Perez überlegte. »Davinski schon. Barbara Jean ist wahrscheinlich vor etwa sechs Monaten gestorben. Und David erst vor ein paar Tagen, höchstens vor einer Woche.«
»Armer David.« Sie sah zu dem Jungen an ihrer Seite. Sein Haar war jetzt trocken und glänzte goldblond. Blaue Augen sahen zu ihr auf.
»Zack!«, piepste er.
»Ja, du bist Zack«, sagte sie bestätigend. »Aber du siehst David sehr ähnlich.« Sie wandte sich an Perez. »Haben meine Kamera und das Telefon überlebt?«
»Ich hole die Sachen.« Er verschwand erneut.
Auf den Platz prasselte der Regen, fiel wie ein durchsichtiger Vorhang vom Bergrand herab. Sam setzte sich wieder, schloss die Augen und lauschte dem schläfrigen Summen des Wassers. Zack kletterte auf ihren Schoß, und sie nahm den Kleinen in den Arm. Es wäre schön, sich jetzt hinzulegen und ein paar Stunden zu schlafen. Vielleicht gleich ein paar Tage.
Füße scharrten vor ihr. Sie öffnete die Augen und wurde von einem Blitzlicht geblendet. Perez stand mit der Kamera vor ihr. »Nun hast du dein Foto«, sagte er und seine Augen funkelten.
Seit sie Chase Perez das erste Mal begegnet war, hatte sie überlegt, wie sich das Braun seiner Augen am Besten beschreiben ließe. Nun wusste sie es: Sie hatten die Farbe eines Flusses, aus dem sie auf Vancouver Island getrunken hatte. Das umgebende Torfmoor hatte das kristallklare Wasser dunkelbraun gefärbt. Torfbraun, dunkel und doch durchsichtig. Rauchig, erdig und köstlich.
Er stellte die Kamera neben sie. Sie wollte gar nicht wissen, wie sie auf dem Foto aussah, das er gerade geschossen hatte. Bestimmt wie eine Kanalratte oder eine alte Hexe. Gleich würde sie selbst ein Bild von Zachary machen. Sie sah auf die Uhr. Das Glas hatte einen tiefen Kratzer, doch die Zeiger bewegten sich noch. Kurz nach zwei.
Zwei Uhr! Die Wildhüter waren um zwölf an den Parkgrenzen losgezogen. »Die Jäger!« Sie krallte die Finger in Perez’ Arm. »Wir müssen Thompson mitteilen, dass wir Zack gefunden haben.«
»Versuche ich gerade.« Perez hielt das Telefon ans Ohr und schüttelte den Kopf. »Nur statisches Rauschen.«
»Gestern Nacht waren die Batterien fast leer.«
»Die Anzeige blinkt noch.«
»Versuch’s über Satellit.«
Sie gab ihm die Nummer und den Zugangscode. Er ging nach draußen auf den Platz, kam aber schon nach wenigen Minuten wieder. »In dem Sturm bekommt man keine Verbindung. Aber die Wildhüter werden bei dem Wetter auch nicht rausgehen.«
Darauf würde sie nicht wetten. Die Jäger, die sie kannte, brüsteten sich damit, die Elemente zu überwinden.
»Im Westen ist der Himmel heller, der Regen könnte weniger werden. Ich versuche es gleich noch einmal.«
Zack sah schon viel gesünder aus als noch vor einer halben Stunde, aber Sam war klar, dass der Junge ordentliches Essen und medizinische Versorgung brauchte. Ihr selbst würden ein paar Pflaster und ein Bier reichen. Vielleicht eher viele Pflaster und viele Biere.
»Wir müssen los«, sagte sie zu Perez. »Die fangen jede Minute mit dem Schießen an. Wir könnten dem Regen davonlaufen.«
»Ich hole den Rucksack.« Er ging zur hinteren Wand.
Sie setzte den geborgten
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