Summer Westin: Verhängnisvolle Spuren (German Edition)
sein. Durch die dichten Wolken zeigte sich nur ab und zu ein Stückchen Himmel; wenn überhaupt, würde es nur wenig Mondlicht heute Nacht geben.
Sam durchwühlte ihre Westentaschen und fand einen Kerzenstummel und ein Briefchen wasserfeste Streichhölzer, mit denen sie im Notfall ein Feuer machen konnte. Die Kerze würde niemals genügend Licht spenden, um die fünf Kilometer zum Lager zu laufen. Aber da! Ihre Finger umschlossen die Minitaschenlampe. Klein, aber ziemlich hell. Erleichtert knipste Sam die Lampe an, dankbar für den kleinen Lichtkegel.
Von oben hörte sie ein Heulen. Sie blieb wieder stehen, jeder Muskel stand unter Spannung. Aaaaammmmmiiii. Sie leuchtete nach oben. Ein Schauer blasser Blätter regnete herab. Das Geräusch übereinander gleitender Gliedmaßen. War es wirklich das? Sie rief sich den leisen Schrei in den Ruinen in Erinnerung: Mammmiii! Der Wind ahmte den traurigen Klang nach: Aaaaammmmmiiii.
War es wirklich nur der Wind in den Bäumen? Hatte sie gar nicht den Ruf eines Kindes vernommen? Vielleicht war ihr Rucksack ja nur von einem vorüberkommenden Wanderer geplündert worden, der ein Funkgerät und Essen brauchte. Genau.
Aber ganz egal, wer hier herumstrolchte – ob es nun Kojoten-Charlie, Fred Fischer oder der Geist am Ende des Pfads war –, sie würde sich nicht davon ins Bockshorn jagen lassen. Komme was wolle, sie würde das letzte Gebäude durchsuchen. Sie machte einen Umweg, kämpfte sich durch Büsche und Felsen am Abhang zu den Ruinen. Falls jemand dort auf der Lauer lag, wollte sie es ihm nicht so einfach machen und den leichtesten Weg nehmen.
Schon stolperten ihre Stiefel über den ersten übersehenen Absatz, und sie fiel nach vorn. Obwohl sie sich mit den Händen abfing, schoss der Schock sofort in den schmerzenden Nacken und den wunden Rücken. Fast hätte sie laut aufgeschrien. Die kleine Lampe fiel ihr aus der Hand und rollte weg. Der Strahl erlosch; sie hob die Lampe auf und schlug sie gegen die Hand. Nichts.
Tränen schossen ihr in die Augen. Sie drängte sie zurück, schluckte schwer und packte den nun nutzlosen Metallzylinder in die Weste. Krabbelte noch fünf Schritte auf Händen und Knien und versuchte, nicht an Schlangen oder Skorpione zu denken. Dann fühlte sie eine glatte Oberfläche, richtete sich auf und stand auf dem Dorfplatz.
Der Wind hatte aufgefrischt und trieb trockenes Laub durch die Ruinen. Allein durch aufmerksames Lauschen würde sie nicht erkennen, ob sich hier noch jemand herumtrieb. Das Rascheln würde jedes Scharren überdecken. Immer wieder warf sie einen Blick über die Schulter, um sicherzugehen, dass sich niemand von hinten heranschlich.
Am Rande eines gähnenden, dunklen Lochs blieb sie stehen. Die Kivas hatte sie sich ebenfalls noch nicht gründlich angeschaut. Der Wind blies ihr erstes Streichholz aus. Sie strich ein zweites an, schirmte die Flamme mit dem Körper ab und hielt sie sofort an die Kerze. Der kleine Stummel spendete nur spärliches Licht. Vage nahm sie lehmfarbige Umrisse wahr. Eine runde Bank und darunter ein runder Schatten. Etwas Rotes. Zacks Turnschuhe waren rot. Seine Hose ebenfalls. Vorsichtig stieg sie über die kleine Bohlenleiter in die Zeremonienkammer, ging mit der Flamme ganz nahe an das Objekt heran. Einwickelpapier von Zimtkaugummi. Sie wandte sich wieder zur Leiter.
Hinter ihr raschelte es. Langsam drehte sie sich um die eigene Achse, hielt die Kerze eine Armeslänge von sich. Unter der Bank gegenüber bewegte sich etwas unter einem Haufen von Blättern und Steppenläufern.
»Zack?« Sie trat näher. Im flackernden Licht glänzten braunschwarze Muster, und ein glasiges Auge starrte sie feindselig an. Eine Schlange? Die Kreatur bewegte sich langsam auf sie zu.
Leise fluchend fuhr sie zurück, knallte mit dem Rucksack gegen die Leiter und vergoss Wachs über ihre Finger. Sie jaulte auf vor Schmerz. Blöde Echse!
Mit einer Schneehaube über dem trockenen Laub würden die Kivas gute Winterschlafplätze für Reptilien abgeben. Anscheinend hatte sich dieses Exemplar entschlossen, in diesem Jahr in einer archäologischen Stätte zu überwintern.
Wieder oben auf dem Platz angelangt, atmete Sam erst tief ein und dann langsam wieder aus, starrte angestrengt ins Dunkel, das sie umgab. In ein paar Wochen würde ihr das alles nur noch wie ein schlechter Traum vorkommen. Vielleicht würde sie sogar einen Roman darüber schreiben. Falls sie überlebte.
Das Wohnzimmer von Rafael Castillo war leer, nur in einer
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