Sumpfblüten
»Das ist das Geheimnis. Wenn du erst mal anfängst, dich Hals über Kopf in solche Sachen zu stürzen, blöde Entscheidungen zu treffen, dann ist es echt schwer, sich da wieder rauszugraben. Damit meine ich, es ist schwer, sich zu ändern.«
»Du stehst doch gar nicht so schlecht da«, wandte Gillian ein. »Schau dir doch an, was bei uns Sache ist, Genie – der Strand, das Meer, Rumdrinks. Der Rest des Landes friert sich den Arsch ab.«
Wassertreten, das ist bei mir Sache, dachte Eugenie. Meine Kreditkarten bis zum Anschlag ausreizen.
»Was passiert, ist Folgendes: Man fängt an, etwas Bestimmtes auszustrahlen«, erklärte sie. »Was glaubst du denn, warum dieser Masseur mich angebaggert hat, und nicht dich? Weil er wusste, Schätzchen, dass ich mir nicht zu schade bin, mit dem Personal zu vögeln, wenn ich mich langweile. Die haben einen Radar für so was, die Kerle, für die Langeweile-Signale. Sieh dich mit so was vor, okay?«
Gillian ging und holte sich ein Bier aus der Minibar. Sie trank einen Schluck und sagte: »Auf die Guten warten, meinst du das mit Geduld?«
»Die gibt es. Das weiß ich ganz sicher.«
»So wie Thlocko?«
»Such dir einen von der Erde, Gillian. Bei dem hatten sogar seine Probleme noch Probleme.«
»Aber er ist anders. Ich mag ihn.«
»Ich auch«, gestand Eugenie.
»Total nicht langweilig.«
»Das stimmt.«
»Danke, dass du nicht mit ihm geschlafen hast. Das meine ich ernst.«
»Keine Ursache«, erwiderte Eugenie.
Gillian kippte die letzte Hälfte ihres Biers in einen Blumenkübel. »Ich sollte mich wohl lieber morgen nach Tallahassee auf die Socken machen – ich muss mir die Bücher fürs nächste Semester kaufen. Und du?«
»Ich fliege morgen nach Fort Worth zurück. Schmeiß meinen beschissenen Job hin und fang neu an.«
»Ja? Und was willst du machen?«
»Quilts. Ich hab gehört, die sind wieder voll im Kommen. Oder vielleicht Duftkerzen«, erwiderte Eugenie, ohne eine Miene zu verziehen. »Irgendwas, wo ich zu Hause arbeiten kann und nie irgendwelchen Flachpfeifen begegnen muss.«
Gillian beobachtete einen Schwarm grauer Pelikane, die in den Wellen nach Fischen jagten. »Was für ’n irrer Trip – ich meine echt irre. Vielleicht sollten wir, ich weiß nicht, irgendwie feiern.«
Eugenie Fonda stimmte ihr zu. »Ich denke da an Hummer, mit einem chilenischen Chardonnay.«
»Hervorragend«, sagte Gillian mit einem Augenzwinkern. »Wie wär’s damit als Ausdruck?«
147 Kilometer entfernt kam Boyd Shreave endlich dazu, seine Hosen zu wechseln. Er hatte bis zur Abenddämmerung in dem Flammenbaum ausgeharrt und auf die beiden Männer gelauscht, die ihn mit vorgehaltener Waffe angesprochen hatten. Dann hatte er einen nervösen Abstieg angetreten, der stufenweise vor sich gegangen war, die erste in winzigen Babyschrittchen, die zweite in einem spontanen Absturz. Glücklicherweise landete er nicht in dem Kaktusgestrüpp. Und obgleich er sich die Windjacke abgerissen und sich die Hände an einer Kante aus losen Austernschalen aufgeschürft hatte, war Boyd Shreave überglücklich, dass er nicht zum Krüppel geworden war.
Er zog seine verschmutzten Shorts aus und durchwühlte seine Tasche eilig nach einem trockenen Paar Tommy Bahamas. Schließlich gab er sich mit einer apfelgrünen Badehose zufrieden, die er in der wirklichkeitsfernen Erwartung eingepackt hatte, darin am Strand gut zu seiner Geliebten in ihrem Stringbikini zu passen.
In dem Zelt, das er und Eugenie Fonda einst geteilt hatten, fand Boyd Shreave eine offene Wasserflasche, die er austrank. Aus Honey Santanas Zelt klaute er Insektenspray und eine kleine Halogenstirnlampe, seiner eigenen Ausrüstung entnahm er seine Formel-Eins-Zahnbürste und Storm Ghoul als Klopapier.
Einen Fluchtweg zu wählen war leicht – Shreave wandte sich genau in die entgegengesetzte Richtung von jener, die die Männer auf der Suche nach Honey eingeschlagen hatten. Auf dem Baum hatte er zwei kleine Detonationen gehört, die vielleicht Schüsse gewesen sein konnten, in einem Abstand von etlichen Minuten. Das wies darauf hin, dass auf der anderen Seite der Insel etwas Gefährliches im Gange war. Zügig strebte Shreave in die Gegenrichtung und bahnte sich einen groben Pfad durch die Ranken, Büsche und Spinnennetze.
Noch immer war ein bernsteinfarbener Rand entlang des Horizonts zu sehen, als er durch eine schmale Öffnung in den Mangroven stolperte. Achtlos watete er ins Wasser; die Sohlen seiner teuren Bootsschuhe schrammten
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