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Sumpffieber (Detective Dave Robicheaux) (German Edition)

Sumpffieber (Detective Dave Robicheaux) (German Edition)

Titel: Sumpffieber (Detective Dave Robicheaux) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Lee Burke
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von Vergewaltigungen starben. So schlugen sich tausende ostpreußische Kinder nach Litauen durch, um dort als kleine Landstreicher ums Überleben zu kämpfen. Sie wurden »Wolfskinder« genannt – wohl, weil sie wie die Wölfe in den Wäldern lebten, allmählich ihre deutsche Sprache verlernten und sich auf Litauisch oder gar Russisch oft auch nicht recht verständlich machen konnten. Viele von ihnen suchen bis heute nach ihren Verwandten, um endlich eine Antwort auf die bohrende Frage zu bekommen: »Wo komme ich her, wer bin ich?« Sie sind die verlorenen Kinder des 20. Jahrhunderts.
    Wenn wir von Hoffnung, Mut und Zuversicht in diesen dunklen Wochen hören, sind es oft Geschichten von und über Frauen. Die das grausige Geschehen überlebten, trugen die Hauptlast von Flucht und Vertreibung. Ihre Männer, Brüder, Väter, Söhne waren oft nicht da – vermisst, gefangen oder gefallen. Sie sahen sich zum Handeln gezwungen. Mochte Hitlers Reich zugrunde gehen, Hitlers Volk ging nicht zusammen mit ihm unter – auch wenn Hitler selbst dies gern gesehen hätte. Das Leben ging weiter, Kinder kamen auf die Welt. Der Kampf der Männer war vorbei, der Kampf der Frauen begann erst. Sie waren es vor allem, die für das Überleben der Familien sorgten. Es war die Stunde der Frauen.
    Was allen, die Flucht und Vertreibung überlebt hatten, bevorstand, war die Aufnahme im Westen. Kaum einer empfing sie mit wirklich offenen Armen. Viele Geschichten zeugen von Missgunst, Ablehnung, ja offenem Hass, der den Vertriebenen und Flüchtlingen entgegenschlug.
    Die Verdichtung der Bevölkerung führte angesichts von Wohnungsnot, Arbeitslosigkeit und Wirtschaftselend anfangs zu enormen Spannungen. So kam es, dass die Neubürger oft als »Fremde« beargwöhnt und je nach Herkunft als »Polacken«, als »Sudetengauner« oder »Flüchtlingspack« beschimpft wurden.
    Aber ohne diese Menschen wäre das viel zitierte nachkriegsdeutsche Wirtschaftswunder nicht möglich gewesen. Diese Menschen mochten kein Vermögen haben – doch sie hatten Kenntnisse, sie hatten Ehrgeiz, wollten es zu etwas bringen, wieder in Würde leben. Und sie gingen dorthin, wo die Arbeit war. Das »Wirtschaftswunder« war für sie kein Wunder, sondern harte Arbeit und Verzicht auf Zeit. Ohne die Vertriebenen und Flüchtlinge von einst wäre es wohl kaum so glanzvoll ausgefallen.
    Dass es nach dem Krieg gelungen ist, Millionen hungernden und heimatlosen Menschen wieder ein Dach über den Kopf zu geben, sie in Wirtschaft und Gesellschaft einzugliedern, ohne Streiks und Bürgerkrieg – das ist das eigentliche deutsche Nachkriegswunder.
    Mit dem Verlust der Heimat haben sich die meisten Überlebenden inzwischen abgefunden. Viele haben sich den Traum, die alte Heimat wiederzusehen, längst erfüllt – Heimkehr auf Zeit, ohne Zorn. Die meisten wollen die Verständigung, eine Versöhnung mit den Menschen, die heute an den Stätten ihrer Jugend leben. Und viele wünschen sich vor allem eines: dass man ihnen zuhört, wenn sie sich erinnern. Sie wollen sagen können, dass auch sie sich als Opfer jenes mörderischen Krieges fühlen. Einfach darüber reden, solange noch Zeit ist.
    Dem dient dieses Buch.

1
    Nur zweimal in meinem Leben hatte ich eine solche Morgendämmerung erlebt: einmal in Vietnam, als auf einer Nachtpatrouille eine Mine vor mir detoniert war und ihre Leuchttentakel um meine Oberschenkel geschlungen hatte, und das andere Mal, Jahre davor, draußen vor Franklin, Louisiana, als mein Vater und ich die Leiche eines Gewerkschaftlers entdeckt hatten, den man mit Sechzehn-Penny-Nägeln an Fuß- und Handgelenken an eine Scheunentür genagelt hatte.
    Kurz bevor die Sonne über dem Golf von Mexiko aus dem Wasser stieg, legte sich der Wind urplötzlich, der die ganze Nacht hindurch schäumend die Wellenkämme aufgepeitscht hatte, und der Himmel war mit einem Mal blank und bleich wie ein polierter Knochen, als habe man die Atmosphäre zur Ader gelassen und jeder Farbe beraubt, und die Möwen, die sich über meinem Kielwasser in der Luft getummelt hatten, schraubten sich in den Morgendunst, und die Dünung verwandelte sich in eine wellenförmig bewegte Fläche aus flüssigem Aluminium, die sich um die ledernen Rücken der Stachelrochen kräuselte.
    Am östlichen Horizont ballten sich Regenwolken zusammen, und die Sonne hätte eigentlich wie ein nebelumflortes Eigelb aus dem Wasser tauchen müssen. Statt dessen breitete sich ihr rotes Leuchtfeuer pilzartig entlang des Horizonts

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