Sumpffieber
Aale oder Schleie. Für den Kapellmeister wurde ein besonders fetter Barsch vom Festausschuß reserviert.
Erst als die Kapelle den Abschiedsmarsch anstimmte, entschloß sich Tonet, in die Taverne einzutreten.
»Guten Abend, Caballeros!« rief er, um sich Mut einzuflößen, mit lauter, fröhlicher Stimme.
Neleta, tiefe Ringe unter den Augen und die Lider vom Weinen gerötet,warf ihm einen unergründlichen Blick zu, während Cañamel sofort aufstand und hoheitsvoll ins Innere des Hauses wies.
»Geh durch! Wir haben miteinander zu reden!«
In dem kleinen Fremdenzimmer neben der Küche machte der Wirt halt. Sein Gesicht war fahl, und die kurze runde Nase zitterte nervös. Ohne dem Kubaner einen Platz anzubieten, begann er:
»Zwischen uns ist alles zu Ende: Geschäft und Freundschaft!«
Tonet wollte Einspruch erheben, doch der dicke Schankwirt, der wirklich einmal, vielleicht zum letzten Male in seinem Leben, Energie zeigte, schnitt ihm das Wort ab.
»Reden sind nutzlos; ich mache Schluß. Sogar dein Großvater gibt mir recht! Meinen Teil vom Vertrag habe ich erfüllt; aber du lagst von Anfang an auf der faulen Haut. Und nicht allein das! In mein Haus hast du dich eingenistet, als wäre es dein Eigentum, ißt und trinkst das Beste, verfügst über die Kasse und erlaubst dir Freiheiten, an die ich mich nicht erinnern will! Meinen Hund hast du dir angeeignet, meine Flinte und, wie die Leute jetzt behaupten, auch ... meine Frau!«
»Die lügen!« beteuerte Tonet. »Die lügen! ...«
Cañamel streifte ihn mit einem Blick, der ihn auf der Hut sein ließ.
»Natürlich lügen sie! Zu eurem Glück! Denn wenn ich auch nur im entferntesten argwöhnte, daß an der Schweinerei, die diese Kanaillen nachts vor meinem Fenster sangen, etwas Wahres sein könnte, so würde ich ihr den Hals umdrehen und dir eine Kugel zwischen die Augenbrauen jagen. Ah, du kennst mich noch nicht! Ich bin ein gutmütiger Mensch; aber wenn man antastet, was mir gehört, so nehme ich es trotz meiner Krankheit noch mit jedem auf.«
Der vor Wut am ganzen Leibe bebende Schankwirt stapfte im Zimmer auf und ab wie ein altes, krankes Pferd, aber ein Pferd von guter Rasse, das sich bis zum letzten Moment zu bäumen weiß, und Tonets Augen folgten nicht ohne Respekt dem ehemaligen Abenteurer, der in all seiner Indolenz, verweichlicht und schmerbäuchig, wie er war, seine Energie aus den Zeiten skrupellosen Kampfes wiederfand.
In das Schweigen des Zimmers hallte das Echo der Trompeten, die näher und näher schmetterten.
»Gewiß«, fuhr Cañamel fort, »ist alles erlogen. Aber ich will den Leuten nicht zum Gespött dienen. Auch diese Vertraulichkeiten mit Neleta, die dudir so als Pseudobruder erlaubst, passen mir nicht. Von heute ab habe ich mit dir nichts mehr zu schaffen. Dein Großvater ist einverstanden, daß wir beide allein die Fischerei in der Sequiota betreiben. Er wird dir auch deinen Anteil auszahlen. Wenn du nicht einwilligst, sage es – denn schließlich bist du es, der über die Sequiota zu verfügen hat. Doch dann will ich natürlich mein Geld und meine Netze zurückhaben, und wir werden sehen, wie du allein fertig wirst!«
Tonet getraute sich nicht, irgendwelchen Widerspruch gegen dieses neue Arrangement zu erheben.
»Wenn der Großvater das gutheißt, so bin ich einverstanden!«
Die Kapelle machte jetzt vor dem Hause halt, und die Musik dröhnte so laut, daß Cañamel seine Stimme erheben mußte, um sich dem Kubaner verständlich zu machen.
»Mit dem Geschäft sind wir also im reinen. Jetzt noch zwei Worte Mann zu Mann! Einen Gast, der mir lästig fällt, setze ich vor die Tür. Und dir verbiete ich, dich noch einmal in der Taverne blicken zu lassen. Verstehst du wohl? Es ist aus mit der Freundschaft! Die Tür von diesem Haus wird in Zukunft für dich eine Schranke sein, so hoch ... so hoch wie der Turm Miguelete in Valencia.«
Und während draußen Posaunen und Trompeten lärmten, reckte Cañamel seine beinahe kugelrunde Figur auf die Fußspitzen und hob den Arm, um die ungeheure, die unermeßbare Höhe der Schranke auszudrücken, die den Kubaner fortab von ihm und seiner Frau trennen sollte.
9.
A ls Tonet zwei Tage verbracht hatte, ohne die Taverne zu besuchen, wurde es ihm bewußt, wie sehr er Neleta liebte.
Vielleicht trug zu seiner Verzweiflung auch der Verlust des sorglosen Wohllebens bei, dieses Überflusses, in den er wie in eine Woge von Glück untergetaucht war. Doch vor allem vermißte er den Reiz der heimlichen
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