Sumpffieber
ergriff sie einmütig ein ungeheurer Zorn – nahm man aber jemandem die Frau, so wußten sie sich vor Heiterkeit nicht zu lassen. Tonet zitterte vor Angst und Wut. In gewissen Momenten hätte er fortlaufen mögen, weil er ahnte, daß seine lieben Freunde zu weit gehen würden. Doch neben dem Stolz hielt ihn die eitle Hoffnung zurück, daß seine Gegenwart sie etwas zügeln könnte.
»He! ... Seht euch vor, was ihr sagt!« drohte er jetzt offen.
Aber die Sänger lachten ihn aus. Während Tonet auf Kuba weilte, waren aus ihnen handfeste, rauflustige Burschen geworden, die sich für die Elite von Palmar hielten. Und just um ihm zu zeigen, wie wenig sie seine Drohung erschreckte, improvisierten sie neue Verse, die wie Geschosse gegen die Taverne prasselten.
Ein Neffe der Samaruca brachte Tonets Wut zur Explosion. Er sang:
»Seht die besten Partner auf der Welt:
Cañamel und den Kubano!
Alles teilen sie, die Fische und das Geld,
Und Neletas Bett. Lebt weiter so!«
Mit einem Satz stand Tonet vor dem Sänger und stieß ihm den Kolben seines Karabiners ins Gesicht. Der andere taumelte zurück; bevor er jedoch seine Flinte hochbringen konnte, schoß Tonet blindlings los.
Tumult! ... Die Kugel verlor sich irgendwo in die Nacht, aber Sangonera glaubte sie an seiner Nase vorbeipfeifen zu hören.
»Ich bin getroffen! ... Mörder! ... Mörder!« heulte er und warf sich zu Boden.
Fenster wurden hastig geöffnet, weiße Gestalten neigten sich über die Brüstungen.
Der Kubaner, im Handumdrehen entwaffnet und an die Mauer gedrängt, mühte sich verzweifelt, sein Messer frei zu bekommen.
»Laßt mich los!« schäumte er. »Diesen Lump mache ich kalt!«
Jetzt nahten im Laufschritt der Alkalde und seine Ronde, die in Erwartung eines Skandals den Serenadensängern von weitem gefolgt waren. Der Zollwächterkorporal, den Mauser schußbereit erhoben, brachte Tonet fort zu seiner Hütte, während Samarucas Neffe im nächsten Hause verbunden wurde.
Sangonera machte mehr zu schaffen. Sich am Boden wälzend, jammerte er, daß er im Sterben läge. Man flößte ihm zur Stärkung den ganzen Weinrest aus dem Schlauch ein. Und da diese Medizin sehr nach seinem Geschmack war, schwor er, nicht aufstehen zu können, weil die Kugel ihn durchbohrt habe ... bis der energische Padre Miguel, der das Schelmenstück durchschaute, den Vagabunden mit zwei heilsamen Fußtritten verblüffend schnell auf die Beine brachte.
Der Alkalde befahl den Burschen ihren Rundgang fortzusetzen. Cañamel war genügend mit Serenaden bedacht worden.
Mißmutig entfernte sich der Zug; auch Dimonis Flöte trillerte vergebens. Wie konnte man singen mit den ausgedörrten Kehlen, für die es keinen Wein mehr im Schlauch gab?
Die Fenster schlossen sich; die Straße wurde still. Aber die letzten Neugierigen meinten, im oberen Stockwerk der Taverne das Jammern einer Frau zu hören, immer wieder unterbrochen von den Zornausbrüchen einer tobenden Stimme.
Am folgenden Tage beschäftigte der Zusammenstoß bei Cañamel alle Gemüter.
Tonet wagte sich nicht in die Taverne hinein. Am Vormittag drückte er sich auf der Plaza herum, von wo er sah, wie die Leute haufenweise zur Kneipe zogen. Es war der letzte Festtag; nachmittags schiffte sich die Kapelle wieder ein, und für ein Jahr versank Palmar von neuem in klösterliche Stille.
Mittags aß Tonet mit seinem Vater, der die Festtage dazu benutzt hatte, die Hütte auszubessern, und aus dessen Miene – ernst wie immer – er entnahm, daß von den Vorkommnissen der Nacht noch nichts zu ihm gedrungen war. Borda hingegen mußte schon etwas gehört haben, denn als sie mit ihrem Bruder einen Augenblick allein blieb, stöhnte sie:
»Allmächtiger! Wenn der Vater es erfährt, wird er vor Kummer außer sich sein!«
Der Großvater war nicht zu Tisch gekommen, wahrscheinlich hatte ihn Cañamel eingeladen. Erst nachmittags begegnete Tonet dem Alten. Kurz angebunden sagte er zu seinem Enkel:
»Geh zur Taverne. Paco will dich sprechen.«
Eine Weile sah Tonet, der einer Auseinandersetzung mit Cañamel nur zu gern aus dem Wege gegangen wäre, noch zu, wie sich die Kapelle ordnete, um zum letzten Male zu spielen, und zwar den von Palmar so benannten »Aalmarsch«.
Die Musikanten würden sich in ihren Rechten sehr beeinträchtigt gefühlt haben, wenn man sie ohne Fische hätte nach Hause zurückkehren lassen. So durchzogen sie in jedem Jahr kurz vor der Abfahrt das Dorf, vor sich einige Kinder mit Körben, in die jede Frau etwas hingab:
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