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Suna

Suna

Titel: Suna Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ziefle Pia
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faszinierte mich im Wesentlichen, könnt ihr sagen, ich bin , und einen Beruf nennen oder eine Nationalität oder wenigstens einen Namen, den eure Mutter euch gegeben hatte.
    Sie sagten, das gerade könnten sie nicht! Sie seien ja eben keine Serben mehr, keine Kroaten. Dort nicht. Und hier seien sie keine Deutschen.
    Wie sollten sie auch verstehen, was mir fehlte, wenn ich sagte »Ich bin adoptiert«, was für mich klang wie amputiert, und dann stand ich vor den türkischen Läden und drückte mir die Nase an der Scheibe platt, weil ich dachte, da drin, der eine, genau, der hat doch dieselben Augen wie ich?
    Ich konnte sagen »Ich bin achtzehn«, und es blieb das einzig Gewisse. Denn schon wenn ich mich abwandte vom Drehspieß und abwinkte, nein, keinen Hunger heute, und sie mich aufzogen wegen der vielen Zigaretten und dem wenigen Essen und ich sagte »ich esse nicht zu wenig, höchstens aus Versehen« lachten sie mich aus und sagten, man kann doch nicht aus Versehen nichts essen, man kann allerhöchstens aus Versehen zu viel gegessen haben, das ist doch schon LOGISCH ! Hast du noch nie was von Hunger gehört? Na also, das ist ein Gefühl, das kommt von allein, kannste nix machen, sagten sie, die anderen, die auch Bescheid wussten über Gramm, die man wiegen muss, oder Kilogramm?
    Kann man wohl was machen gegen Hunger, sagte ich, nämlich einfach nix essen, dann hat es sich mit dem Hunger, ganz schnell. Also eine kurze Durststrecke muss man durchstehen ( Durst strecke!), die gibt es. Wenn man dar­über wegkommt, bleibt der Hunger aus, der gibt auf, hat kein Durchsetzungsvermögen, keinen Biss , der Hunger.
    Einmal ging ich alleine zu Selim und spielte mit ihm eine Runde Backgammon. Immer stand das Spiel in der Ecke unter dem gewaltigen Bild einer Berglandschaft mit elek­trischem Wasserfall.
    Woher ich denn eigentlich käme, fragte Selim, nachdem ich ihn zweimal hintereinander besiegt hatte.
    Ich nannte ihm meine Geburtsstadt.
    »Nein, nein«, sagte er, er spräche von meiner Heimat.
    »Deutschland«, sagte ich.
    Er würfelte und zog wie nebenbei seine Steine.
    »Du bist keine Deutsche«, sagte er. »Das sehe ich.«
    Ich nahm die Würfel und warf einen Pasch. Ohne zu antworten, verschob ich vier Steine und machte mein Spielfeld dicht. Diese Partie würde abermals an mich gehen.
    »Halb«, sagte ich schließlich, »ich bin halb türkisch, vielleicht deswegen?«
    Aus dem einsilbigen deutschen Gemurmel wurde augenblicklich ein türkischer Wortschwall, dem elektrischen Wasserfall an der Wand nicht unähnlich, und ein deutsches »Warum hast du das nicht gesagt?« flitterte dazwischen und ich sah in stolze und schwarze Augen.
    »Ich kenne meinen Vater nicht, ich bin adoptiert«, schob ich nach, zögerlich, weil ich den Stolz in seinem Blick gern noch länger gesehen hätte.
    Was das hieße, adoptiert, wollte er wissen und würfelte, ohne hinzusehen.
    Du hättest die Empörung sehen sollen, die sich auf dem gerade eben noch so fröhlichen Gesicht breitmachte!
    Himmel und Hölle würde er in Bewegung setzen, sagte Selim, Himmel und Hölle, um diesen Kerl ausfindig zu machen, der ja wohl mit Sicherheit seine Frau und seine Tochter hat sitzenlassen und sich davongemacht hätte!
    Ich sagte, das wüsste ich doch gar nicht! Vielleicht war er ja krank geworden oder gestorben.
    »Nein«, sagte Selim, nein, das nicht, dann wäre die ganze Sache anders gelaufen. Wenn es so gewesen wäre, wäre es Schicksal gewesen!
    Schicksal regelt man innerhalb der Familie!
    Dann wäre ich mit Sicherheit nicht zur Adoption hergegeben worden, sondern bei einem Verwandten und dessen Familie aufgewachsen!
    Kein türkischer Vater, Onkel, Bruder hätte ein Kind den deutschen Behörden überlassen!
    Nein, so wie sich die Sache darstelle, sei da gegen alle Ehre gehandelt worden, ich müsse ihm nur den Namen ­geben! Urlaub wollte er sich nehmen und in die Türkei reisen und den Feigling (hier kamen noch ein paar türkische Schimpfwörter, die ich nicht kannte) zur Verantwortung ziehen. Hören und Sehen solle ihm vergehen, das sagt man doch so auf Deutsch?
    Ich nickte. Das sagt man wohl so. Ich habe aber meine Mutter noch nie gesehen und kenne seinen Namen nicht, sagte ich noch, und überhaupt wüsste ich ja nicht, wo er lebt.
    Dann werde es schwierig, und aus dem Kämpfer von eben wurde wieder der Spieler, der sich nicht noch ein drittes Mal von einem deutschen Mädchen im Backgammon besiegen lassen wollte.
    »Es heißt Tavla«, sagte er, als ich ging.

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