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Suna

Suna

Titel: Suna Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ziefle Pia
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einmal mehr nach, ob überhaupt Julka Lukics Name an der Klingel stand. Ich zündete mir noch eine Zigarette an, stieg ins Auto und fuhr zurück. Als ich Zeljko die Schlüssel in die Hand drückte, stellte er keine Fragen.
    Im Herbst saß Zeljkos Mutter bleich in der Küche.
    »Er ist weg.«
    Ich holte mir einen Kaffee und sah sie fragend an.
    »Er ist abgehauen, wegen der Armee.«
    Welche Armee, dachte ich zuerst, aber dann fiel es auch mir wieder ein. Letzte Woche erst hatten wir über Bosnien gesprochen.
    »Du kannst sein Zimmer behalten, wenn du willst«, sagte seine Mutter müde. Er hatte nichts mitgenommen außer Kleidern. Für mich hatte er ein kleines Päckchen gepackt mit dem besten Gras, das er besaß, und seinem Autoschlüssel. »Ich melde mich, mach dir keinen Kopf, sestra «, schrieb er. »Ich geh einfach dahin, wo sie mich nicht erschießen können.«
    An den Wochenenden traf ich mich mit Zeljkos Freunden im Imbiss. Auch von denen war der eine oder andere verschwunden, weil es plötzlich eine Rolle spielte, ob ein Vater aus Split stammte oder aus Banja Luka. Es hieß, es sei nicht unwahrscheinlich, dass manche »da unten« jetzt gegeneinander kämpften, und man behalf sich mit schlechten Witzen darüber, dass wohl keine Seite den Krieg gewinnen würde, wenn sie solche wie die dabeihätten.
    Am Ende des Abends würfelten wir darum, wer das Bier bezahlt, und wenn Selim gut drauf war, spielte er mit uns um die ganze Rechnung, und wir sahen auf dem stummgeschalteten Fernseher hinter der Theke die Bilder vom Krieg in Bosnien und wollten nicht darüber nachdenken, ob wir Zeljko und die anderen jemals wiedersehen würden. Ich sagte nichts dazu, aber ich begann, schlechter zu schlafen, die Bilder ließen mich nicht los, die Panzer nicht und die Luftangriffe auch nicht, und weil sie im Fernsehen waren und so aussahen wie die Dokumentationen dieses anderen Krieges, vermischten sich die Bilder und bekamen eine merkwürdige Geschichtlichkeit, als lägen die Ereignisse lange zurück oder als wären sie sogar besonders realistisch erfunden.
    Im Nachhinein würde ich sagen, war es eine Flucht und der Wunsch nach Eskalation, der mich den Entschluss fassen ließ, ganz alleine nach Nordafrika zu reisen.
    Ich sagte niemandem Bescheid, kaufte ein Zugticket, eine abgeschabte rote Lederjacke, eine Campingausrüstung und einen Polarschlafsack.
    In Lissabon wurde ich krank. Ich lag bei 40 Grad im Schatten im Zelt und las »Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins«, als einer vom Campingplatz entschied, mich besser in ein Krankenhaus zu bringen. Meine Körpertemperatur war mit der Umgebungstemperatur identisch. Schon immer viel zu dünn, hatte der Virus (oder was immer es war) leichtes Spiel mit mir. Ich lag im portugiesischen Hospital und träumte wirr.
    Im Traum sollte ich Aufsätze schreiben, allein in einem fensterlosen, staubigen Raum. Mit Neonbeleuchtung. Ich schrieb dreißig brillante Seiten zum Thema »So stelle ich mir die Welt in zehn Jahren vor« und bekam null Punkte dafür, denn es erstachen sich darin Ehefrauen harakiriartig mit Radioantennen, und Ehemänner erstarrten in stereotypem Stuhlploppenlassen in vorvertiefte Teppichbodenabdrücke nach DIN -Norm. Eltern zersägten mit Messern aus Keramik ihre Biographien und froren sie tief, um sie zu stündlich stattfindenden Mastfesten in die weitgeöffneten Münder ihrer Kleinkinder zu stopfen. Ungekocht.
    Söhne schrieben Postkarten aus Sarajevo und Mütter packten geräucherte Würste ein für den Krieg. Jemand sprengte historische Brücken.
    Wieder und wieder musste ich meinen Aufsatz neu schrei­ben, aber dennoch übernahmen bei mir keine Computersysteme die Weltherrschaft. Vielmehr putzten ­Mütter in kunstseidenen Wehrmachtskrawatten weißglänzende Häuser, bis keine Fenster mehr da waren, und Väter untersuchten so lange ihre nackten Töchter auf Abstammungsmerkmale, bis nichts mehr von ihnen übrig war.
    In einem anderen Traum versuchte Magdalena, mir eine Haltung oder eine Meinung oder ein Wort zu Sarajevo abzuringen, sie redete und redete von Belagerung und verhungernden Kindern. Ich hatte einen Telefonhörer in der Hand und hielt ihn weit weg von meinem Ohr. Was hatte ich denn mit all dem zu tun? (Und hieß das Buch nicht »Geschichte der Belagerung von Lissabon«?)
    »Jugoslawien ist deine Heimat!«, sagte sie böse.
    Du interessierst dich nicht, sollte das heißen ( DAS WEISS ICH DOCH!), du interessierst dich nicht für die Kinder dort, die armen

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