Suna
(»Sie hat dich nicht geboren, da wollt sie dir eben einen Namen geben, ischd nicht schwer zum Verstehn«, war alles, was Julka dazu gesagt hatte.)
»Ich war beim Notar«, sagte Magdalena darauf, »wenn du willst, kannst du deinen Vornamen ändern lassen. Unter diesen Umständen.«
Ich wollte nicht.
»Allerhand«, sagte Johannes, »das ist ja allerhand. Hast du sie gefunden.«
Er fragte nicht, wie es mir damit ging, das wäre nicht seine Art gewesen. Seine Hände wanderten unruhig über den Tisch, ab und zu griff Claudia nach ihnen, und er lächelte sie scheu an.
Thea und Irma luden Julka und Andrusch zu einem Mittagessen ein, aber es fand sich kein Termin, auch weil Irma da schon krank war und einige Male operiert werden musste.
Dafür bekam Tanja im Jahr darauf ihr zweites Kind, und ich wurde Patin und Magdalena und Ruth waren bei der Taufe dabei.
Ich machte den ganzen Tag Fotos mit der »ganzen Familie«.
Julka und Magdalena saßen am selben Tisch und beeil ten sich, einander Kaffee einzuschenken, und brachten sich gegenseitig Kuchen vom Büfett. Magdalena aß sogar ein dickes, sahnig-cremiges Stück Schwarzwälderkirsch. Um Julka ein gutes Gefühl zu geben, war sie offensichtlich zu allem bereit.
Es war bemerkenswert, wie wenig Anlauf die beiden brauchten, um diesen Tag miteinander zu erleben, und wie nah man sich sein kann, wenn einen das Leben über ein Kind miteinander verbunden hat, aber mehr noch, wenn man genau weiß, was es heißt, alles zu verlieren und immer und immer wieder von vorn anzufangen.
Ich fuhr lächelnd nach Hause an diesem Abend, denn ich hatte etwas zu bewahren, worüber ich mit niemandem sprechen wollte.
Am späten Nachmittag hatte ich Magdalena und Ruth zum Bahnhof gebracht und verabschiedet, und Julka hatte darauf bestanden mitzukommen.
Auf dem Rückweg zu Tanjas Haus bat sie mich, einen Umweg zu fahren, und sie zeigte mir das Krankenhaus, in dem ich so lange geblieben war, und ließ mich weiterfahren zu Andruschs Kneipe.
Gegenüber stand ein Mietshaus, und sie zeigte auf ein Fenster im zweiten Stock. »Hier war unsere Küche«, sagte sie, »und das Schlafzimmer ist hintenraus gewesen.«
Ich begriff.
Sie wollte mir von meinem Vater erzählen, ohne dass wir dabei am Küchentisch meiner Schwester saßen oder in der Nähe von Andrusch.
»Willst du mir nicht wenigstens seinen Namen verraten?«, fragte ich leise.
»Doch«, sagte sie, und sie sprach ihn aus. Lächelnd und mit einer Weichheit, die ich nie mehr von ihr gehört habe.
»Kamil heißt er«, sagte sie, »Kamil aus Yozgat.«
Und dann hat sie noch einen Satz zu ihrem Wörterkind gesagt, als wir beide schon wieder im Wagen saßen: »Eins sage ich dir, Luisa: Wenn dein Vater morgen vor meiner Tür stünd, ich würd alles stehen und liegen lassen und mit ihm gehen. Mehr musst du aber wirklich nicht wissen.«
Siebte Nacht
Ich habe mich heute entschieden, trotz Stillzeit noch ein weiteres Glas Rotwein zu trinken und für fünf Minuten nicht an morgen und den Flug zu denken.
Heute haben wir Heiligabend gefeiert. Wir haben den Baum geschmückt und Plätzchen gebacken. Es gab Frikadellen zu essen und natürlich einen Kartoffelsalat, nach dem Rezept von Toms Mutter. Wir wechseln jedes Jahr ab. Nächstes Jahr ist wieder der von Magdalena dran. Tom hat Klavier gespielt und mit euch gesungen. Du hast deine Geschenke aufgerissen und bist glücklich zwischen den knisternden Papieren herumgerobbt.
In Toms geheimnisvollem Karton war ein Samowar! Als ich die Kanne auspackte und alles aufeinandersetzte, war wieder das Klirren zu hören, und jetzt weiß ich auch wieder, woran es mich erinnert hat: an meinen allerersten türkischen Traum. Ich nenne sie meine türkischen Träume. Auch wenn wir nicht gesprochen haben miteinander, bin ich doch sicher, dass es Türkisch gewesen wäre. Als ich begann, die Sprache meines Vaters zu lernen, ist sie in mich hineingerutscht, als würden Dinge und Wörter, Bilder und Töne nur zurück an ihren Platz rücken.
»Du brauchst etwas um dich, das aus der Heimat deiner Seele kommt«, hat Tom gesagt und mir zugelächelt, ohne mich zu berühren, weil er weiß, dass ich das nicht ertragen kann, wenn ich so aufgewühlt bin wie in diesen Tage.
Wir haben zu viert gefeiert. Gäste, wie in den vergangenen Jahren, wären mir zu viel geworden. Und ganz ehrlich: Das Reisen an diesen wenigen Tagen von Großeltern zu Großeltern ist mir eigentlich lästig. Lieber besuchen wir alle im Sommer, wenn dem
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