Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Suna

Suna

Titel: Suna Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ziefle Pia
Vom Netzwerk:
allmählich unter Prospekten begraben wurden. Eines Samstags lag zuoberst auf diesem Berg eine Ansichtskarte. Aus Bulgarien. Von Zeljko. »Bin am Schwarzen Meer«, schrieb er, »Hausmeister. Cooler Job, kommst Du mal vorbei. Hast Du endlich Deine serbisc h / kroatisc h / bosnisch (unwahr­schein­lich ) / slowenische Mutter besucht?«
    »Nein!«, schrie ich die Postkarte an. »Und das habe ich auch nicht vor!«
    Schließlich packte ich müde die Plastiktüten in mein Auto und brachte sie zu der Bühne, an der der Norweger gerade arbeitete. Ich traf ihn nicht an. Vielleicht stehen sie heute noch in der Requisite.
    Als ich wieder nach Hause kam, stellte ich alle Möbel auf den Treppenabsatz und renovierte meine Wohnung. Ich zog die Dielen ab und ölte sie, tapezierte neu und strich die Zimmertüren fuchsiafarben. Zeljkos Postkarte war, so klein sie auch war, dabei ständig im Weg. Der letzte Hinweis darauf, dass nun etwas unumgänglich geworden war, ist jedoch eine Kinderschallplatte gewesen, die mir in die Hände fiel, als ich alles wieder hineintrug.
    Ich legte sie auf meinen Plattenspieler und hörte die Geschichte vom Entchen, das aus einem zu großen Ei geschlüpft ist und nicht passen mag zur Entenmutter und nicht zu den anderen Entchen. »Du bist anders als wir«, sagen die anderen, »du passt nicht zu uns, du gehörst nicht hierher.« Das Entchen wandert durch die Welt und nicht einmal vom Fuchs wird es gefressen, weil es sagt, es sei eine Ente, und der Fuchs lacht und sagt, es solle sich doch mal ansehen, es sei mit Sicherheit keine.
    Da kommt es eines Tages weinend an einen See und zwei Schwäne schwimmen darin. Einer kommt ans Ufer, als er das Entchen hört, und sagt: »Warum weinst du?« – »Weil ich so ein hässliches Entlein bin.« – »Aber das stimmt gar nicht«, sagt der Schwan, »du bist gar kein Entlein, du bist ein Schwan.« Und das Entlein schaut in das Wasser und tatsächlich, seine Federn sind nicht mehr dunkel und grau, sondern weiß geworden und schön, genau wie die der Schwäne vor ihm.
    Julka Lukic ging an diesem Tag früher nach Hause.
    Sie war müde und erschöpft von der Arbeit. Sie nahm den schmalen Weg neben den Gleisen und ging an den Schrebergärten entlang, die sich über die Jahrzehnte, seit sie hier wohnte, nur geringfügig verändert hatten.
    Es war ihr Geburtstag, und sie hatte auf dem Weg von der Arbeit noch eingekauft, um am Abend ein größeres Essen für sich und Andrusch zu kochen. Vielleicht kommt Tanja nachher mit der Kleinen, so dachte sie.
    Andrusch war unterwegs, noch bei den Nachbarn oder im Baumarkt. Seine Kneipe war schon lange geschlossen. Lohnt nicht, hatte er gesagt, und entschieden aufzuhören, als die Kinder aus dem Haus waren. Sie hatten Geld zur Seite gelegt, um zurückzugehen in die Heimat, aber über die Jahre war der Streit, ob es besser sei nach Serbien oder nach Kroatien zu gehen, seltsam mechanisch geworden. Die immer gleichen Sätze waren aufeinandergetroffen, die immer gleichen Argumente.
    »Ich bin zu alt für Touristen«, sagte Andrusch, wenn sie für die kroatische Küste warb, und sie sagte: »Keine zehn Pferde bringen mich zurück nach Serbien.«
    »Ist doch alles eins«, sagte Tanja kopfschüttelnd.
    »Davon verstehst du nix, Kind«, sagte Julka.
    Als Tanja schließlich einen Deutschen geheiratet hatte, war für Julka ohnehin klar, dass es keine Rückkehr mehr gäbe, egal wohin.
    »Jetzt ist unser Platz hier, bei den Enkeln«, sagte sie.
    »Es geht wieder los«, sagte Andrusch vor dem Fernseher, als am 19. Dezember 1991 die Serbische Autonome Repu­blik Krajina ausgerufen wurde, aber Julka weinte an diesem Tag aus einem anderen Grund.
    Es war im Dezember gewesen, als sie sich von ihrer Toch ter Marina verabschiedet hatte, fest im Glauben dar­an, Marina würde am achtzehnten Geburtstag die ganze Wahrheit erfahren und sich dann bei ihr melden.
    Doch statt eines Anrufes ihrer Tochter erreichte sie die Nachricht vom Tod ihrer Tante Edita.
    »Du kannst nicht zum Begräbnis fahren«, sagte Andrusch. »Die drehen jetzt durch da unten.«
    Julka trauerte um Edita, aber noch mehr litt sie darunter, dass der achtzehnte und auch der neunzehnte und zwanzigste Geburtstag ihres Kindes verstrich, ohne dass ein Anruf gekommen war.
    Schließlich hatte sie den Gedanken an Marina ganz tief in ihrem Herzen verborgen und damit begonnen, die Jahrestage und Geburtstage zu ignorieren.
    Sie stieg die vertrauten Stufen hoch, schloss die Wohnungstüre auf und stellte

Weitere Kostenlose Bücher