Sunrise: Das Buch Joseph (German Edition)
zurückrief –, sah aber hin wie einer, der einen erkennt.
Ja, das war’s. Und das rätselhaft.
Ich sage: Er sah’s an, als sei es sein Kind, über das er sich beugt. Sein Kind.
Und doch war das nicht der Blick, den ich sah, nicht der Blick, den ich wiedersah, als ich ihn mir später zurückrief, ja zurückrufen mußte , denn – was war dieser Blick?
Nicht, als liege da in den Wassern sein Kind, sah er hin und hinab. Sondern:
Als liege er da.
Er selbst.
Als sei er es, der da ertrunken lag unter Wasser.
Er, der sich endlich erkennt.
Da taucht er mit dem Finger ins Wasser hinab. Stößt mit dem Finger bis hin an den Mund des Ertrunkenen.
Und leichthin, schien mir, berührt ihm die Lippen.
Und leichthin legt auf sie den Finger.
Und teilt sie, die Lippen, als öffne er dem Säugling den Mund.
Da sehe ich, gebogen-gebrochen durchs Wasser hin, sehe zukommend dem Finger, der auf der Lippe noch ruht, sehe steigend zum Finger herauf:
Die kleine Hand des Ertrunkenen schwimmen.
Und sehe die winzigen Finger des Säuglings, sehe sie greifen.
Greifen den Finger, der aufliegt der Öffnung des Munds.
Da faßt der Sohn nach dem Mann.
Und der Mann, beidhändig nun, hebt ihn aus dem Wasser hervor.
Und lebendig ist er, lebendig das Kind, ich sah es. Und beschwöre es dir.
Denn die Augen!
Geöffnet hatten sie sich!
Auch bewegte sich schon der Arm des Kleinen.
Mehr konnt ich nicht sehen. Denn der Mann, der ihn eben noch aus der Wanne des Backtrogs gehoben, ward schwach und konnte nicht von den Knien.
Das Kind noch haltend im Arm, schwankte er, da schlug’s ihn zurück gegen die Wand, als er versuchte zu stehen.
Und er lag zusammengebrochen an der Wand, die ihn stützte. Und rief nach ihnen erschöpft.
Da trat eine Frau ins Zimmer, und kam auch der Mann, den ich zuvor gesehen.
Und die Frau, die dem Propheten abnahm das Kind, die war deine Frau, Esther.
Und kaum stand sie, trat schon die Mutter hinzu des Kinds und andere rasch hinterher.
Und außer dem Aufschrei der Magd, als deine Frau ihr reichte das Kind, war nichts zu hören.
Nur Geraschel der Schritte der vielen, die sich alle standen im Weg. Und die sprachlos waren, sprachlos wie ich.
Und Furcht ergriff alle, sprachlose Furcht, die auch mich ergriff.
Denn sie hatten – wie ich – tot gesehen das Kind nur wenig zuvor. Und jetzt sahen wir es lebendig.
Da ließ er sich stützen, der zusammengebrochen war an der Wand. Und sie zogen ihn hoch vom Boden empor an Händen. Und einige machten ihm Platz – das sah ich noch.
Und alsgleich verließ er das Haus. Aber das sah ich nicht mehr. Denn die Menge hatte auf ihn gewartet und ließ mich nicht durch, nicht zurück in die Gasse.
Tags darauf aber schon, kaum hatte ich meine Sachen gepackt, brach ich auf. Und ich verließ Jericho, hinaufzusteigen zu dir nach Jerusalem.
Und angekommen, säumte ich nicht, dir’s zu berichten.‹
So sprach der Händler zu meinem Herrn.
Kapitel 92. Der Kranke
Und ich sah meinen Herrn berührt vom Gehörten. Denn nicht nur schien ihm nun sicher: Sie lebt, Esther lebt.
Sondern, daß der Händler selbst war ergriffen vom Gesehen-Erfahrenen und daß er erzählend auch meinen Herrn hatte berührt, das war Erfahrung.
Und saß wie ein Schlag.
Denn da, mit einem Schlag, war meinem Herrn offenbar, was Esther war widerfahren.«
So sprach Neith zu uns. Monoimos aber unterbrach ihre Rede und fragte:
»Wer also war der Prophet, dessen Namen du uns zurückhältst?«
Und Neith antwortete ihm:
»Brauchst du den Namen zur Tat? Steht nicht, was er tat, für den Namen?
Ihr seid die Grabsucher, die sagen wollen: › Hier lag der Tote, hier ist er auferstanden.‹
Aber was heißt schon, er sei ›auferstanden‹, wenn ihr deuten wollt auf den Ort?
Da handelt besser der Händler, der’s überall weitererzählt. Denn der Säugling ist gestorben, wo es erzählt wird. Und wieder lebendig gemacht wird er überall.«
Und Balthazar sprach:
»Es gab aber doch viele, die man nannte Propheten, und manche Zauberer und manche Täufer in jenen Tagen – und gibt sie noch. Wie sollen wir wissen, von wem dir der Händler erzählte?«
Da sprach Neith zu ihnen:
»Und doch wißt ihr’s bereits. Und habt es jetzt auch erfahren. Aber ihr nehmt die Erfahrung nicht an. Buchstabengetreu muß es euch eingeritzt sein. Sonst – glaubt ihr – bleibt nichts zu lesen.
Versucht euch also in der Erfahrung, laßt euch ergreifen!
Und meidet die Versuchung, selbst ergreifen zu wollen. Meidet das
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