Sunrise: Das Buch Joseph (German Edition)
nach der Zisterne zu sehen.
Und als er das Feld erreichte, blies ein staubiger Wind. Und er lief durch ihn hin. Und Joseph ging auf den morschen Baum zu, nahe dem er einst Wasser vermutet, aber Maria liegend gefunden hatte.
Und gleich sah er den offenen Mund der Zisterne. Denn nicht mehr bedeckt lag das Versteck.
Und als er hinzutrat, hinabsah, hinabstieg sogar, um genauer zu sehen, fand er niemanden, keine Spur mehr des Sklaven.
Da dachte Joseph: Was sorge ich mich? Er liegt nicht mehr unten, denn seine Wunden sind nach so langer Zeit längst geheilt. Sie aber wird klug alles entfernt haben – auch Bettstatt und Seil, die ich ihm gelegt –, damit späterhin nichts von ihm zeuge.
Und Joseph bemerkte, im Boden der Zisterne wuchsen einige Ähren. Und dachte: Wie seltsam. Selbst wenn sie die ins Trockne gesät und noch begossen hätte, wie kämen sie hier im Dunkeln herauf?
Da befaßte er eine der Ähren, die war hüfthoch gewachsen. Und als seine Hand sie umschloß, fand er sie reif und geneigt. Und er ließ aufwärts streichen die Finger bis zu den stachlichten Grannen.
Als es aber Nacht geworden, schlich er sich, wie beim Abschied, hinab zum Haus ihrer Eltern.
Die Hitze des Tages hatte zur Nacht kaum nachgelassen. So fand er im Haus nur einen der Brüder liegen im Schlaf.
Da stieg er leise die Leiter hinauf, die lehnte am Haus.
Und fand Maria auf dem Dach schlafend, bei den andern.
Sie lag aber der Leiter so nah und abgewandt von den anderen, zugekehrt nur der Leiter, daß Joseph wußte, sie bangte um seine Rückkehr und wollte, daß seine ausgestreckte Hand, kehrte Joseph bei Nacht, noch von der Leiter aus sie rasch wecken könnte als erste, ohne daß es erführen die andern.
Aber Joseph, auf der Sprosse stehend, war so glücklich, sie wiederzusehen, daß er den Arm, der sich ausstreckte schon, wieder einzog, hinauszuzögern die Zeit bis zum Blick ihrer Augen. Und zu betrachten, die er zu sehen ersehnt hatte, Maria.
Und da er sie schlafend betrachtete, die junge Verlobte, wich von ihm Angst, die er gefühlt hatte tagelang und die unbestimmt ihn bedrängt. Und er sah Marias Hände schlafend um die Zipfel eines Tuches gelegt, das sie fest hielt und sich bis über die Hüften gezogen.
Und Joseph erkannte das Tuch, und in den Schlüften der Falten gerafften Blaus auch Teile der bleichen Sterne.
Denn er hielt davon einen Streifen bei sich unterm Gewand, von ihr gewoben und ungefärbt, das dem Boten übergebene Zeichen.
Und er staunte sie an, die schlafende Frau, sah ihrem Atmen zu und ihren im Tuch sich fest verschränkenden Händen und dachte: So hält sie, festhaltend das Tuch bei der Nacht, noch im Schlaf fest den Augenblick unseres Himmels, da ich sie bei der Zisterne sah und meine Sternenfrau zum ersten Mal weckte.
Und Joseph beugte sich über sie und hielt inne. Und streckte aus seine Hand und berührte ihre Schulter.
Da öffnete Maria die Augen und still sah ihn an. Ihre Hände aber lösten nur schwer sich vom Tuch, auch ihn zu berühren. Still sah sie hin, als könne er Traumbild sein, von dem sie noch träumte. Still sah sie hin, als wolle sie’s fassen:
Jetzt ist er zurück, den ich fasse.
Und sie erhob sich.
Und mit ihm stieg hinab.
Und sie führte ihn bei der Hand. Denn sie wußte, das Haus der Witwe, in das sich beide beim Abschied gestohlen, war wieder bewohnt.
Und er, gerne ließ er sich führen von ihr. Und die Ungeduld im Griff ihrer Hand kam wie Freude.
Und sie zog ihn hinaus vors Dorf, daß niemand sie sähe. Es war aber der Weg zur Zisterne, den sie einschlug.
Da hielt er sie auf und kam ihr im Dunkeln näher, sie anzusehen. Und sie umarmten sich.
Maria aber, kaum war sie umarmt und umarmte ihn, wich ihm aus. Und sie stand gefaßt vor ihm, still. Da glaubte er, halb zu sehen, halb zu hören: Tränen, daß sie weinte vor ihm.
Joseph sprach zu ihr: ›Frau, warum weinst du?‹
Und sie schwieg.
Und Joseph sprach: ›Dein Zeichen, den Streifen Tuchs, ich erhielt ihn erst vor zwei Tagen im Dorf meiner Mutter.‹
Und sie weinte vor ihm und schwieg.
Da fragte Joseph: ›War dir von ihrem Tod schon berichtet und trauerst du nun?‹
Kaum aber hatte er gesprochen das Wort vom Tod seiner Mutter, hörte er an ihrem Weinen, daß sie nicht davon wußte. Und er nahm sie in den Arm, sie zu trösten.
›Nun bist du aber mein Trost‹, sprach er. ›Du umfängst mich, so hältst du die Trauer in Schranken.‹
Und als sie immer noch weinte, fragte er sie: ›Wie ist dir? Kanntest du
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