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Sunrise: Das Buch Joseph (German Edition)

Sunrise: Das Buch Joseph (German Edition)

Titel: Sunrise: Das Buch Joseph (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Roth
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Angst. Wie schuldig ich mich umsah, noch auszuweichen. Da ruft mein Söldner, als wisse er’s schon, dem jüngeren zu, der oben stand bei dem Baum: „Hast ihn gefunden, mein Sohn?“ Und hält mir dabei die Lanze in den Rücken, preßt mich voran, bis an den Mund der Zisterne. Die war nun bis auf den Grund hinab sichtbar und leer. Es war, als erkennt ich sie nicht wieder, so war sie. Leer nicht nur – denn die abgerissenen Zweige und Gräser, auf die du ihn hattest gelegt, waren verschwunden –, sondern voll hochgewachsener Ähren war dort der Grund. Es wuchs Gerste, als sei fetter Boden dort unten.‹
    Da sprach Joseph: ›Ich weiß. Ich sah nach dort, bevor ich dich weckte.‹
    ›Und wie erklärst du’s?‹
    ›Du lenkst ab, du lenkst ab, das ist es doch. Was weiß ich, wie er aus dem Loch herauskam. Vielleicht half ihm ein anderer.‹
    Und Maria sprach: ›Ein anderer. Denn allein schien’s mir nicht, daß er hätte weit kommen können. Und sicher nicht ohne Spur. Denn am Tage zuvor hatte ich ihn noch gesehen.‹
    ›Gesehen ihn? Von wem sprichst du jetzt?‹
    ›Dem Sklaven. Von dem du mir aufgetragen, ich solle ihm bringen Nahrung und Wasser, auch Wein und Öl für die Wunden.‹
    ›Das hast du getan – und was darüber hinaus?‹
    ›Ich bin auch am zweiten Tag hin, hoffend, es ginge dem Menschen ein wenig besser schon. In der Nacht aber hatte’s zu regnen begonnen und regnete noch am Tag. So daß ich fürchtete, die Zisterne würde mit Wasser sich füllen. Und lief dorthin durch den Regen so früh ich nur konnte. Als ich hinabstieg zu ihm, das blaue Tuch von mir nahm, weil es schwer war vom Regen, sah ich: In die Zisterne hinab war nicht viel Wasser gedrungen. Es hatte ihn aber geweckt. Und sein Fieber vom Vortag schien mir gewichen. Denn er sprach zu mir, als ich mit nassen Händen das Mitgebrachte, das Essen ihm reichte.‹
    ›Sprach? Was sprach er?‹
    ›Er dankte mir und dankte dem, der ihn hierher gebracht. Und nachdem er gegessen und ich ihm gereicht, was ich hingetragen, sah ich nach seinen Wunden. Und versorgte auch die, so gut ich konnte. Denn ich wollte nicht lange ausbleiben und hatte, wie du mir geraten, darauf geachtet, daß niemand mir folge.‹
    ›Dann bist du gegangen, bist gestiegen den Schacht nach oben zurück. Und?‹
    ›Bin nicht gegangen, nicht gestiegen zurück. Da eben weiß ich’s nicht mehr.‹
    ›Weißt nicht mehr was ?‹
    ›Weiß nicht mehr, wie ich hinaufkam. Ich weiß nur …‹
    › Was weißt du, sag es mir?‹
    ›Weiß nur, daß er mich fragte. Fragte nach meinem Namen.‹
    ›Und du?‹
    ›Gab ihm den Namen. Gab meinen Namen ihm, der mich fragte. Sonst tat ich nichts … Noch seh ich’s vor mir, höre mich sagen: „Maria.“ Und dachte dabei: Wie aber soll ich ihn anreden, wenn ich täglich vorbeikomme, ihn zu versorgen? Und frage ihn also, wie er mich gefragt: „Wie heißt du?“ Da wandte er sich um nach mir. Aber wandte sich um, als habe er … – wie soll ich dir sagen? – darauf gewartet.‹
    ›Gewartet – worauf?‹
    ›Denn ich erkannte das Warten in seinen Augen, als habe er lange gewartet. Und war angekommen im Augenblick, da er sich wandte, sich umwandte nach mir. Und in der Wende noch gab, sprechend zu mir: seinen Namen.‹
    Da schwieg sie still.
    ›Du gibst ihn mir nicht, diesen Namen?‹
    Immer noch schwieg sie. Angestrengt aber. Als käm er ihr bald auf die Lippen. Da sagt sie:
    ›Ich konnt ihn nicht halten, den Namen … Weil er alles enthielt, alles gab, alles auslöschend war im ersten Verlauten. Hielt ihn nicht, diesen Namen. War gehalten von ihm. Furchtbar gehalten vom Wort seines Namens.‹
    ›Furchtbar gehalten?‹
    ›Furchtbar, weil ich ihn hörend Besinnung verlor.‹
    ›Du fielst zu Boden?‹
    ›Kann dir’s nicht sagen. Ob ich zu Boden fiel, wo ich lag, ob ich lag überhaupt. Weiß nichts mehr danach. Und nichts mehr vom Namen. Nur bis zum Rande hin weiß ich’s: Als er wider mich kam, dieser Name. Seine Lippen ansetzten, zu formen den Ton. Und der Ton im Verlauten der Silbe mich ansprang, mich einsog ins Netz seines Namens. Über mich schoß wie netzend-gewaltig hüllender Schatten.‹
    Wieder schwieg sie.
    Aber auch Joseph schwieg.
    Denn als sie’s sagte, traf ihn doch, was sie nicht halten, nicht mehr erinnern konnte. Nicht das Unerinnerbare traf ihn, das Wort, das alles enthielt, sondern wie vom Schatten eines Splitters davon ward er gestreift und hielt der Frau still und zerriß das Gesagte nicht mit Furcht,

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