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Sunset - King, S: Sunset - Just After Sunset

Titel: Sunset - King, S: Sunset - Just After Sunset Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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Priester schwieg eine Weile. Stumm, ging Monette durch den Kopf. Wenn es ein weißes Wort gab, dann dieses. Tippte man es mit einer Schreibmaschine auf eine Karteikarte, würde es unsichtbar werden.
    Der Priester auf der anderen Seite des Gitters ergriff wieder das Wort. Seine Stimme, noch immer freundlich, war jetzt ernster. »Welche Sünde hast du begangen, mein Sohn?«
    Und Monette antwortete: »Ich weiß es nicht. Das müssen schon Sie mir sagen.«

2
    Es begann zu regnen, als Monette die Auffahrt zum Turnpike nach Norden erreichte. Sein Koffer lag im Kofferraum, die Musterkoffer – große Ungetüme, wie sie Anwälte mit sich herumschleppten, wenn sie Beweismittel ins Gericht brachten – lagen auf dem Rücksitz. Einer war braun, der andere schwarz. Beide hatten das Logo von Wolfe & Sons aufgeprägt: einen Grauwolf mit einem Buch im Maul. Monette warVertreter. Sein Gebiet umfasste den gesamten Norden Neuenglands. Es war Montagmorgen. Das Wochenende war übel gewesen, sehr übel. Seine Frau war schon vor knapp zwei Wochen in ein Motel gezogen, wo sie wahrscheinlich nicht allein war. Bald würde sie ins Gefängnis kommen. Auf jeden Fall würde es einen Skandal geben, bei dem ihre Untreue noch das wenigste sein würde.
    Am Revers seines Jacketts trug er einen Button mit der Aufschrift: DAS BESTE HERBSTPROGRAMM ALLER ZEITEN! HIER ERHÄLTLICH!
    Am unteren Ende der Auffahrt stand ein Mann. Er trug alte Kleidung und hielt ein Schild hoch, als sich Monette im stärker werdenden Regen näherte. Ein schäbiger Rucksack stand zwischen seinen Füßen, die in verdreckten Turnschuhen steckten. An einem hatte sich vorn einer der Klettverschlüsse gelöst und stand wie eine schiefe Zunge weg. Der Anhalter hatte keine Mütze, von einem Schirm ganz zu schweigen.
    Alles, was Monette vom Schild zunächst erkennen konnte, waren grob gezeichnete rote Lippen, die mit schwarzer Farbe diagonal durchgestrichen waren. Als er näher kam, sah er die Wörter über dem durchgestrichenen Mund: ICH BIN STUMM! Unter dem durchgestrichenen Mund stand: NEHMEN SIE MICH MIT???
    Monette setzte den Blinker, um auf der Auffahrt anzuhalten. Der Anhalter drehte das Schild um. Auf der anderen Seite war ein ebenso unbeholfen gezeichnetes durchgestrichenes Ohr zu erkennen. Über dem Ohr: ICH BIN TAUB! Darunter: KANN ICH BITTE MITFAHREN???
    Seit seinem sechzehnten Lebensjahr hatte Monette Millionen von Meilen zurückgelegt, die meisten davon in den Dutzend Jahren, in denen er als Vertreter für Wolfe & Sons ein bestes Herbstprogramm nach dem anderen verkaufte. In all der Zeit hatte er nicht einen einzigen Anhalter mitgenommen. Ohne zu zögern, fuhr er jetzt an den Straßenrand und hielt an. Das Christophorus-Medaillon am Rückspiegel schwang noch hin und her, als er den Knopf drückte, um die Türen zu entriegeln. Heute hatte er nichts zu verlieren.
    Der Anhalter ließ sich auf den Sitz gleiten und stellte seinen schäbigen kleinen Rucksack zwischen die nassen, verdreckten Turnschuhe. Dem Aussehen nach hatte Monette erwartet, dass der Kerl stank. Er hatte sich nicht geirrt. »Wie weit soll ich Sie mitnehmen?«, sagte er.
    Der Anhalter zuckte die Achseln und deutete die Auffahrt hoch. Dann beugte er sich nach unten und legte das Schild vorsichtig auf den Rucksack. Sein Haar war strähnig und dünn. An manchen Stellen wurde es grau.
    »Na, wohin es geht, das weiß ich, aber …« Monette wurde bewusst, dass der Typ ihn nicht hören konnte. Er wartete, bis der andere sich aufrichtete. Ein Wagen rauschte vorbei und hupte, obwohl Monette ihm genügend Platz zumVorbeifahren gelassen hatte. Monette zeigte ihm den Stinkefinger. Das hatte er auch früher schon getan, allerdings nie wegen einer so lächerlichen Sache.
    Der Anhalter schnallte sich an und sah zu Monette, als wollte er ihn fragen, was die Verzögerung solle. Er hatte Falten im Gesicht, und Bartstoppeln waren zu erkennen. Monette konnte das Alter des Mannes noch nicht einmal raten. Irgendwo zwischen alt und nicht alt, mehr konnte er nicht sagen.
    »Wie weit soll ich Sie mitnehmen?«, fragte Monette und betonte diesmal jedes Wort. Als der Typ – durchschnittliche Größe, dünn, nicht mehr als siebzig Kilo – ihn auch diesmal einfach nur anstarrte, sagte er: »Können Sie von den Lippen ablesen?« Er berührte seinen Mund.
    Der Anhalter schüttelte den Kopf und fuchtelte mit den Händen.
    Monette hatte in der Mittelkonsole einen Schreibblock liegen. Während er Wie weit? darauf schrieb, wurde er von einem

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