Sunset - King, S: Sunset - Just After Sunset
da über ihm stand, der sich in seinem ganzen Leben noch nie mit jemandem geprügelt hatte, weder auf der Highschool noch gar in der Grundschule – dieser Mensch wusste, dass es wirklich vorbei war. Wenn Lee eine Pistole gehabt hätte, hätte er vielleicht versucht, ihn in den Rücken zu schießen, während er davonging. Aber so – nein. Lee war … wie hieß das doch gleich?
Geplättet.
Der gute Lee-Lee war geplättet.
Hardin hatte eine plötzliche Eingebung. »Ich kenne Ihr Autokennzeichen«, sagte er. »Und Ihren Namen. Und den der Lady. Ich werde in der Zeitung danach Ausschau halten,Arschloch.«
Lee schwieg weiterhin. Da lag er auf dem Bauch, und die Glassplitter funkelten im Mondlicht.
»Gute Nacht, Arschloch«, sagte Hardin. Er schlenderte zum Parkplatz hinüber und fuhr davon. Shane in einem Jaguar.
Zehn Minuten lang ging es ihm gut, vielleicht fünfzehn. Lange genug, um erst das Radio anzuschalten und sich kurz darauf für die Lucinda-Williams-CD im Player zu entscheiden. Dann kam ihm plötzlich alles hoch, die ganzen Kartoffeln samt Hühnchen, die er im Pot o’ Gold gegessen hatte.
Er fuhr auf den Standstreifen, nahm den Gang raus, wollte aussteigen – und merkte, dass dafür keine Zeit mehr blieb. Also lehnte er sich, noch immer angeschnallt, aus dem Fenster und erbrach sich auf den Asphalt neben der Fahrertür. Er zitterte am ganzen Leib. Ihm klapperten die Zähne.
Hinter ihm tauchten Scheinwerfer auf und kamen auf ihn zugerast. Wurden langsamer. Eine Autobahnstreife, war Dykstras erster Gedanke, endlich eine Autobahnstreife. Die tauchten immer auf, wenn man sie am wenigsten gebrauchen konnte. Oder war das der PT Cruiser? Ihm lief es kalt den Rücken hinunter. Das war er bestimmt! Ellen am Steuer, Lee-Lee auf dem Beifahrersitz. Und jetzt hatte der ein Montiereisen auf dem Schoß liegen.
Aber es war nur ein alter Dodge voller Jugendlicher. Einer davon – ein offenbar rothaariger, dümmlich aussehender Bursche – streckte sein pickliges Gesicht zum Fenster hinaus und schrie: »Guten Appetiiiit!« Gefolgt von lautem Gelächter. Dann war der Wagen vorbei.
Dykstra zog die Fahrertür zu, legte den Kopf in den Nacken, schloss die Augen und wartete, bis das Zittern nachließ. Es dauerte eine Weile, aber dann hatte sich auch sein Magen etwas beruhigt. Ihm wurde bewusst, dass er wieder pinkeln musste. Er nahm das als gutes Zeichen.
Abermals sah er vor sich, wie er Lee gegen die Schläfe hatte treten wollen (wie fest? wie würde sich das anhören?), und gab sich größte Mühe, jeden Gedanken daran zu verdrängen. Hatte er das wirklich tun wollen? Bei der Vorstellung wurde ihm gleich wieder übel.
Sein Verstand (sein größtenteils gehorsamer Verstand) wandte sich stattdessen wieder dem Raketensilo zu, dem Befehl habenden Offizier, der weit draußen in Lonesome Crow, North Dakota (oder vielleicht in Dead Wolf, Montana), stationiert war. Und langsam, aber sicher verrückt wurde. Der hinter jedem Gebüsch einen Terroristen vermutete. Der in seinem Spind schlecht geschriebene Pamphlete stapelte und lange Nächte vor dem Bildschirm zubrachte, wo er die paranoiden Abgründe des Internets auslotete.
Vielleicht ist der Hund auf dem Weg nach Kalifornien, um einen Auftrag zu erledigen … mit dem Auto statt mit dem Flieger, weil er im Kofferraum seines Plymouth Road Runner ein paar sehr spezielle Knarren liegen hat … und er hat eine Panne …
Sicher. Sicher, das war gut. Oder könnte es jedenfalls sein, wenn er sich noch ein paar Gedanken darüber machte. Hatte er wirklich geglaubt, dass der Hund im weitläufigen Landesinneren Amerikas nichts verloren hatte? Wie engstirnig! Unter den richtigen Umständen konnte es nämlich jeden an jeden beliebigen Ort verschlagen. Es brauchte nur den richtigen Job.
Das Zittern hatte aufgehört. Dykstra legte den Gang ein, und der Jaguar setzte sich wieder in Bewegung. In Lake City suchte er sich eine Tankstelle, die rund um die Uhr geöffnet hatte. Er entleerte seine Blase und füllte seinen Tank (nachdem er den Parkplatz nach dem PT Cruiser abgesucht und ihn nirgends entdeckt hatte). Dann fuhr er nach Hause, während er sich seine Rick-Hardin-Gedanken machte, und schloss die Tür zu John Dykstras Haus am Kanal auf. Bevor er wegging, schaltete er immer die Alarmanlage ein – sicher war sicher -, und jetzt schaltete er sie kurz aus, bevor er sie dann wieder für den Rest der Nacht einschaltete.
AUS DEM AMERIKANISCHEN VON HANNES RIFFEL
DER HOMETRAINER
I.
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