Sunset - King, S: Sunset - Just After Sunset
Stoffwechselarbeiter
Eine Woche nach der ärztlichen Untersuchung, die er schon ein Jahr lang vor sich hergeschoben hatte (genau genommen waren es drei Jahre, worauf ihn seine Frau hingewiesen hätte, wenn sie denn noch am Leben gewesen wäre), wurde Richard Sifkitz von Dr. Brady zu einem Termin gebeten, um die Ergebnisse zu besprechen. Für den Patienten klang die Stimme des Arztes nicht weiter beunruhigend, und so folgte er der Aufforderung bereitwillig.
Die Ergebnisse waren in Form von Zahlenwerten auf einem Blatt Papier dargestellt, das mit dem Briefkopf des METROPOLI-TAN HOSPITAL, New York, versehen war. Alle Untersuchungen und die dazugehörigen Werte waren in schwarzer Farbe ausgedruckt, mit Ausnahme einer Zeile. Diese Zeile war rot abgesetzt, und Sifkitz war nicht weiter überrascht, dort das Wort CHOLESTERIN zu lesen. Die Zahl, die sich aufgrund der roten Farbe besonders deutlich von allem anderen abhob (was zweifellos beabsichtigt war), lautete 226.
Sifkitz wollte erst fragen, ob das ein schlechter Wert sei, beschloss dann aber, das Gespräch nicht mit einer so dummen Frage zu beginnen. Ein guter Wert wäre wohl kaum rot hervorgehoben worden. Die anderen Werte waren allem Anschein nach gut oder zumindest annehmbar, deshalb waren sie ja auch schwarz. Aber er war nicht hier, um über die schwarzen Zahlen zu sprechen. Ärzte hatten für gewöhnlich viel zu tun und neigten nicht dazu, ihren Patienten auf die Schulter zu klopfen. Also fragte er stattdessen, wie schlecht ein Wert von zweisechsundzwanzig tatsächlich sei.
Dr. Brady lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und legte die Finger auf seiner verflucht hageren Brust ineinander. »Wenn ich ehrlich sein soll«, sagte er, »ist das eigentlich gar kein so schlechter Wert.« Er hob einen Finger. »Jedenfalls wenn man bedenkt, was Sie essen.«
»Ich weiß, dass ich zu viel wiege«, sagte Sifkitz zerknirscht. »Ich nehme mir immer wieder vor, etwas dagegen zu tun.« Was natürlich gelogen war.
»Und wenn wir schon einmal ehrlich zueinander sind«, fuhr Dr. Brady fort, »so schlimm ist Ihr Gewicht nun auch wieder nicht.Wie gesagt, wenn man bedenkt, was Sie essen. Und jetzt möchte ich, dass Sie mir ganz genau zuhören, ein derartiges Gespräch führe ich mit meinen Patienten nämlich nur einmal. Jedenfalls mit meinen männlichen Patienten. Meine weiblichen Patienten würden mir ein Ohr abkauen, wenn es um ihr Gewicht geht.Wenn ich sie ließe. Sind Sie bereit?«
»Ja«, sagte Sifkitz. Er versuchte ebenfalls, die Finger auf der Brust ineinanderzulegen, musste jedoch feststellen, dass er dazu nicht in der Lage war. Es war einfach nicht zu übersehen – und das war ihm keineswegs neu -, dass er ganz ordentliche Brüste hatte. Seines Wissens gehörte das nicht unbedingt zur Standardausrüstung bei einem Mann Ende dreißig. Er gab den Versuch, die Finger ineinanderzuschlingen, auf und faltete die Hände stattdessen. Im Schoß. Je eher Dr. Brady mit seinem Vortrag anfing, desto eher war er fertig.
»Sie sind eins dreiundachtzig groß und achtunddreißig Jahre alt«, sagte der Arzt. »Ihr Gewicht sollte sich um die neunzig bewegen und Ihr Cholesterinspiegel unter zweihundert. In den siebziger Jahren hätte man Ihnen einen Wert von zweihundertvierzig vielleicht durchgehen lassen, aber damals durfte man in den Wartezimmern ja auch noch rauchen.« Er schüttelte den Kopf. »Nein, der Zusammenhang zwischen einem hohen Cholesterinwert und Herzerkrankungen war einfach zu offensichtlich. Also wurden die zweihundertvierzig über Bord geworfen.
Sie sind mit einem guten Stoffwechsel gesegnet. Keinem überragenden, das nicht, aber immerhin.Wie oft essen Sie bei Mc-Donald’s oder bei Wendy’s, Richard? Zweimal die Woche?«
»Vielleicht einmal«, sagte Sifkitz. Die Wahrheit lag im Durchschnitt allerdings eher bei vier bis sechs Fastfood-Gerichten. Die gelegentlichen Abstecher zu Arby’s nicht mitgerechnet.
Dr. Brady hob die Hand, als wollte er sagen: Ganz wie du willst … das Motto von Burger King, wie Sifkitz nur zu gut wusste.
»Nun ja, irgendwo werden Sie schon essen, daran lässt die Waage keinen Zweifel. Bei der Untersuchung wogen Sie zweihundertdreiundzwanzig Pfund … eine Zahl, die Ihrem Cholesterinwert sehr nahe kommt. Und das ist kein Zufall.«
Sifkitz zuckte zusammen, und Dr. Brady lächelte, aber immerhin nicht völlig mitleidlos.
»Lassen Sie uns kurz rekapitulieren, wie Sie gelebt haben, seit Sie das Erwachsenenalter erreicht haben«, sagte Brady. »Sie
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