Sunset - King, S: Sunset - Just After Sunset
Fettwülste im Weg sind. Und Männer, die zum Himmel stinken, weil sie sich seit einem Jahrzehnt oder länger nicht mehr ordentlich sauberwischen konnten.«
Sifkitz verzog das Gesicht und hob beschwichtigend die Hände.
»Ich will damit nicht sagen, dass Ihnen das bevorsteht, Richard – die meisten Leute kriegen von sich aus nochmal die Kurve. Aber an dem alten Sprichwort ist durchaus etwas dran, von wegen, wir schaufeln uns mit Gabel und Löffel selbst unser Grab. Denken Sie daran.«
»Das werde ich.«
»Gut. Das war mein Vortrag. Oder meine Predigt. Nennen Sie es, wie Sie wollen. Ich werde nicht zu Ihnen sagen: ›Geh hin und sündige nicht mehr.‹ Diese Entscheidung liegt jetzt ganz bei Ihnen.«
Obwohl er seit zwölf Jahren bei seiner Einkommensteuererklärung unter BERUF stets FREISCHAFFENDER KÜNSTLER eingetragen hatte, hielt Sifkitz sich nicht für einen besonders fantasievollen Menschen, und seit er an der DePaul seinen Abschluss gemacht hatte, hatte er sich an keinem Gemälde mehr versucht, nicht einmal mehr an einer Zeichnung. Er gestaltete Buchumschläge, manchmal Filmplakate, einen Haufen Illustrationen für Zeitschriften und hin und wieder ein Cover für Messebroschüren. Bisher hatte er eine einzige CD gestaltet (für Slobberbone, eine Band, die er sehr bewunderte), aber dabei würde es bleiben, denn – so sagte er – ohne eine Lupe konnte man die Einzelheiten auf dem fertigen Produkt gar nicht mehr erkennen. Das war aber auch schon alles, was er jemals an »künstlerischem Temperament« entwickelt hatte, wie es so schön heißt.
Wenn ihn jemand gefragt hätte, welche seiner Arbeiten ihm am besten gefielen, wäre er die Antwort wahrscheinlich schuldig geblieben. Die blonde Frau vielleicht, die über eine grüne Wiese läuft – ein Bild, mit dem für einen Weichspüler geworben wurde. Aber auch das würde er wahrscheinlich nur sagen, damit die Fragerei aufhörte. In Wirklichkeit gehörte er nicht zu den Künstlern, die bestimmten Arbeiten den Vorzug gaben (oder geben mussten). Er hatte schon lange keinen Pinsel mehr in die Hand genommen, um etwas zu malen, das nicht für einen Auftrag bestimmt war; und dann meistens nach der genauen Vorgabe einer Werbeagentur oder nach einer Fotografie (wie bei der blonden Frau, die über die grüne Wiese lief, ganz offenbar überglücklich, endlich einen kuschelweichen Pulli zu tragen).
Aber die Muse küsst nicht nur die besten Künstler – die Picassos, die van Goghs, die Salvador Dalís -, hin und wieder küsst sie auch den gemeinen Reklameknecht, wenn auch nur ein- oder zweimal im Leben. Sifkitz nahm den Bus nach Hause (ein Auto hatte er seit dem College nicht mehr besessen), und während er dasaß und aus dem Fenster starrte – den Laborbericht mit der einen roten Zeile zusammengefaltet in der Gesäßtasche -, blieb sein Blick immer wieder an verschiedenen Handwerkern und Bauarbeitern hängen, an denen der Bus vorbeirauschte: Männer mit Schutzhelmen, die über Baustellen stiefelten, manche mit Eimern in der Hand, andere mit Brettern auf der Schulter; Leute von den Stadtwerken, bis zum Bauch in Abwasserschächten, die mit gelbem Absperrband gesichert waren; drei Arbeiter, die vor dem Schaufenster eines Kaufhauses ein Gerüst errichteten, während ein vierter mit dem Handy telefonierte.
Ganz allmählich wurde ihm bewusst, dass vor seinem geistigen Auge ein Bild Gestalt annahm – ein Bild, das auf sein Recht bestand, gemalt zu werden. Als er in der Dachgeschosswohnung in SoHo ankam, in der er lebte und arbeitete, stieg er über den Krimskrams hinweg, der sich unter dem Oberlicht angesammelt hatte, ohne auch nur die Post aufzuheben. Er warf sogar noch seine Jacke auf den Haufen.
Er hielt nur kurz inne, um einen Blick auf ein paar weiße Leinwände zu werfen, die in einer Ecke lehnten, wandte sich aber schnell wieder ab. Stattdessen nahm er ein Stück einfache Presspappe und machte sich mit einem Kohlestift an die Arbeit. Im Lauf der nächsten Stunde klingelte zweimal das Telefon, aber er ließ beide Male den Anrufbeantworter rangehen.
Während der nächsten zehn Tage arbeitete er zwischendurch immer mal wieder an dem Bild. Und als ihm klarwurde, dass es richtig gut war, verwendete er zunehmend mehr Zeit darauf. Von der Presspappe wechselte er wie selbstverständlich zu einer eins zwanzig mal neunzig großen Leinwand. Es war das größte Bild, an dem er in über einem Jahrzehnt gearbeitet hatte.
Darauf waren vier Männer zu sehen – Arbeiter in Jeans,
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