Super-Brain - angewandte Neurowissenschaften gegen Alzheimer, Depression, Übergewicht und Angst
berühmtesten Gehirn des 20.Jahrhunderts auf sich hatte. Ausgehend von der Annahme, solch eine Genialität müsse sich auf etwas Physisches zurückführen lassen können, wurde an Einsteins Gehirn eine Autopsie vorgenommen. Ungeachtet der allenthalben gehegten Erwartungen, große Gedanken müssten auf einem großen Gehirn basieren, lag das Gewicht von Einsteins Gehirn in Wirklichkeit jedoch um zehn Prozent unterhalb des Durchschnittswerts.
Damals stand man gerade an der Schwelle zur Erforschung der Gene. Und es sollten noch Jahrzehnte ins Land gehen, bis weiter reichende Theorien entwickelt waren, die das Zustandekommen neuer synaptischer Verknüpfungen erklären können. In beiden Bereichen bescherten uns die entsprechenden Forschungsergebnisse dann aber dramatische Erkenntnisfortschritte. Den Genen kann man bei der Arbeit nicht zuschauen. Wie Neuronen neue Axone– das Axon ist ein langer Ausläufer der Nervenzelle– und die sich fein verästelnden Dendriten hervorbringen, damit die eine Gehirnzelle zu einer anderen Gehirnzelle in Verbindung treten kann, lässt sich hingegen sehr wohl beobachten. Bis in die letzten Lebensjahre, das wissen wir inzwischen, ist das Gehirn imstande, neue Axone und Dendriten zu bilden– ein Umstand, der uns alle Veranlassung zu der Hoffnung gibt, dass wir über kurz oder lang beispielsweise der Senilität vorbeugen und unsere volle geistige Kapazität unbegrenzt lange aufrechterhalten können. (So erstaunlich groß ist die Fähigkeit des Gehirns, neue Verbindungen zu knüpfen, dass ein Fötus in den letzten Wochen vor der Geburt pro Minute rund 250 000neue Gehirnzellen bildet, wodurch im Minutentakt Millionen neuer synaptischer Verknüpfungen zustande kommen.)
Derartige Phänomene besonders hervorzuheben bedeutet aber im Grunde, ebenso naiv zu sein wie ein Zeitungsreporter, der erpicht darauf ist, aller Welt zu berichten, Einstein habe ein monströs großes Gehirn gehabt– nach wie vor liegt hier der Akzent auf dem Physischen. Zu wenig Gewicht wird hingegen der Frage beigemessen, wie jemand mit seinem Gehirn umgeht. Wer nicht eine neue Beziehung zu seinem Gehirn entwickelt, darf unserer Auffassung nach von diesem nicht verlangen, dass es neue und unerwartete Dinge leistet.
Denken Sie zum Beispiel an ein entmutigtes Schulkind. Solch einen Schüler, der gewöhnlich hinten in der letzten Reihe sitzt, hat vermutlich jeder von uns in der Klasse gehabt. Das Verhalten des betreffenden Kindes folgt einem traurigen Muster. Erst versucht es, mit den anderen Kindern mitzuhalten. Laufen diese Bemühungen, aus welchen Gründen auch immer, ins Leere, dann verliert das Kind den Mut. Nun strengt es sich nicht länger mit der gleichen Intensität an wie diejenigen Kinder, deren Anstrengungen von Erfolg gekrönt sind, durch aufbauende und ermutigende Erfahrungen beflügelt werden. Im nächsten Schritt beginnt solch ein Kind, sich abzureagieren und den Unterricht zu stören, indem es laut ist oder den Clown spielt, um die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.
Jedes Kind benötigt Aufmerksamkeit, selbst wenn sie negativer Natur ist. Derartige Störmanöver im Unterricht können von ausgesprochen aggressiver Art sein. Nichts aber, so begreift das Kind schließlich, verändert sich hier zu seinem Vorteil. Wenn es sich abreagiert, erfährt es bloß Missbilligung und Bestrafung. Diese Einsicht markiert den Beginn der letzten Phase, die durch mürrisches Schweigen gekennzeichnet ist. Das Kind unternimmt keine weiteren Bemühungen mehr, mit den anderen Kindern in der Klasse mitzuhalten. Mitschüler/innen stempeln es nun als » langsam « oder » dumm « ab. Für solch ein Kind ist die Schule zu einer bedrückenden, ja erdrückenden Erfahrung geworden, anstatt ein Ort zu sein, an dem es sich bereichert fühlt.
Es ist unschwer zu erkennen, welche Auswirkungen ein derartiger Verhaltenszyklus auf das Gehirn hat. Wie wir heute wissen, wird ein Baby mit einem zu 90Prozent ausgestalteten Gehirn und einem gewaltigen– in die Millionen gehenden– Überschuss an neuronalen Verknüpfungen geboren. Daher ist der heranwachsende Mensch in den ersten Lebensjahren in hohem Maß damit beschäftigt, die nicht benötigten Verknüpfungen gleichsam auszusortieren. Im Unterschied dazu werden die zu neuen Fertigkeiten führenden Verknüpfungen weiterentwickelt. Diesen Entwicklungsprozess, davon können wir ausgehen, bricht ein entmutigtes Kind ab. Viele nützliche Fertigkeiten werden infolgedessen nicht länger kultiviert und
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