Super Sad True Love Story
kreditunwürdigen Abschaum befreien›?»
«Umsiedeln.» Erregt nahm er einen Schluck grünen Tee. «Diese Stadt ist nicht für alle. Wir müssen konkurrenzfähig werden. Also mehr mit weniger erreichen. Die Bilanz ausgleichen.»
«Ein Schwarzer in meiner Bank hat gesagt, schuld an allemsei Staatling-Wapachung.» Ich versuchte, die Autorität von «Volkes Stimme» anzuzapfen.
«Schuld woran?»
«Ich weiß auch nicht. Wir haben die Fähre bombardiert. Dreihundert Tote. Mein Freund Noah. Weißt du noch, was du mir direkt vor dem Bruch erzählt hast? Dass Vishnu und Grace nichts zu befürchten haben. Aber du hast auch gesagt, du wüsstest nicht, wer Noah ist.»
«Was willst du damit sagen?» Joshie beugte sich vor, die Ellbogen auf dem Schreibtisch. «Willst du mir irgendwas vorwerfen?»
Ich blieb stumm und spielte die Rolle des verletzten Sohnes.
«Es tut mir leid, dass dein Freund tot ist», fuhr Joshie fort. «Die ganzen Todesfälle waren tragisch. Die Fähre, die Parks. Logisch. Aber gleichzeitig stellt sich auch die Frage: Wer
waren
all die Medienleute eigentlich, was hatten sie Konstruktives beizutragen?»
Ich hustete in meine Hand, eine schmerzhafte Kälte breitete sich in meinem Körper aus, als wäre mir ein Eisberg in den After gerammt worden.
Ich hatte Joshie nie erzählt, dass Noah ein Medienmann war.
«Sie verbreiten bloß unnütze Gerüchte. Von wegen sichere Beobachtungseinrichtungen im Hinterland. Ja klar. Rubensteins Regierung hätte nicht mal eine Tippgemeinschaft organisieren können. Lenny, du hast doch Durchblick. Bist doch nicht blöd. Wir arbeiten hier an wichtigen Dingen. Wir haben so viel hineingesteckt. Du und ich. Und jetzt schau es dir an. Eine ganz neue Wendung. Egal, wer morgen das Sagen hat, Norweger oder Chinesen, sie werden wollen, was
wir
erreicht haben. Hier geht es nicht um ein albernes Äppärät-App. Sondern um die Ewigkeit. Das hier ist das
Herz
der Kreativwirtschaft.»
«Scheiß auf die Kreativwirtschaft», sagte ich, ohne nachzudenken. «Downtown gibt es nichts zu essen.»
Ein Augenblick. Seine Hand. Meine Wange. Die Parameter der Welt hatten sich sechzig Grad nach links bewegt und waren dann summend zur Ruhe gekommen. Ich spürte, wie meine eigene Hand sich zu meinem Gesicht hob, ohne dass ich bemerkt hätte, wie.
Er hatte mich geschlagen.
Ich nehme an, die Erinnerung an meine erste väterliche Ohrfeige stieg aus irgendeinem vergessenen Winkel meiner Seele auf – Papa Abramovs die Luft zerteilende Hand, seine breitbeinige Boxerhaltung, als hätte er einen Hundert-Kilo-Brummer vor sich und kein neunjähriges Kind –, aber irgendwie konnte ich nur daran denken, dass ich im November vierzig wurde. In drei Monaten würde ich ein vierzigjähriger Mann sein, der gerade von seinem Freund, seinem Chef, seinem Ersatzvater geohrfeigt worden war.
Und dann ging ich auf ihn los. Über den Schreibtisch, dessen scharfe Kanten mir in den Bauch schnitten, packte ich ihn mit beiden Händen am Schlafittchen seines seidig schwarzen T-Shirts , sein Gesicht, sein feuchtes, erschrecktes Gesicht ganz dicht an meinem, die sanfte Bräune seiner Augen, diese Ausdruckskraft, das schalkhafte jüdische Gesicht, das im Handumdrehen traurig werden konnte, all das, was wir zusammen auf die Beine gestellt hatten, all die Schlachtpläne, die über Platten in Distelöl frittierter veganer Samosas ausgeheckt worden waren.
Eine Hand ließ sein T-Shirt los, eine Faust wurde geballt. Entweder tat ich es, oder ich tat es nicht. Entweder entschied ich mich für diesen letzten Weg, oder ich ließ die Faust sinken. Was hatte ich außer Joshie? Konnte er den Karren nach allem, was geschehen war, wieder aus dem Dreck ziehen? War auf den Fall Roms nicht die Renaissance gefolgt?
Konnte ich diesem Mann wirklich einen Fausthieb versetzen?
Ich hatte zu lange gewartet. Behutsam löste Joshie meine andere Hand von seinem T-Shirt . «Es tut mir leid», sagte er. «Sehr leid. O Gott. Nicht zu glauben, was ich da getan habe. Das ist der Stress. Ich bin gestresst. Mein Cortisolspiegel. Herrgott. Ich versuche, Fassung zu bewahren. Aber natürlich habe auch ich Angst.»
Ich wich zurück. Wie ein bestraftes Kind wurde ich an den Rand des Zimmers geführt und spürte die Alphastrahlen von Joshies Glasfiber-Buddha, die meine Seele streichelten. «Okay, okay», sagte Joshie. «Geh für heute nach Hause. Grüß Eunice ganz lieb von mir. Sag Joe Schechter draußen, dass ich ihn fürs halbe Gehalt wieder einstellen
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