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Super Sad True Love Story

Super Sad True Love Story

Titel: Super Sad True Love Story Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Shteyngart
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versucht, was draus zu machen. Aber wir sind einfach zu verschieden. Findest du nicht?» Und ehe sie ein Gefühl heraufbeschwören und es im gleichen Atemzug leugnen konnte, ging ich.
    Draußen waren die Straßen so gut wie leer. Alle Taxis hatten sich dahin geflüchtet, wo auch immer Taxis herkommen, und durch diese Abwesenheit umherfahrenden Gelbs kam einem Manhattan so still und stumm wie Kabul während des Freitagsgebetes vor. Auf der Grand Street waren in beiden Richtungen die Kreditmasten verbrannt und sahen aus wie prähistorische Bäume nach dem Rückzug der Gletscher, die bunten Lampen hingen schlaff herab, eine Reihe umgekehrter Flugkurven, und die rassistischen Kreditsprüche waren abgerissen und zerfetzt, bedeckten wie alte Wischlappen die Windschutzscheiben. Auch ein alter Ford-Econoline-Lieferwagen mit dem Aufkleber «Meine Tochter ist als U S-Marine in Venezuela» war aus irgendeinem Grund abgefackelt worden – mitten auf der Straße lag er mit den Rädern nach oben, erinnerte an eine tote Kakerlake. Der A-OK Pizza Shack war offen, hatte jedoch die Fenster verrammelt, genau wie der arabische Imbiss, wo man quer über das Sperrholz «WIR ACKZEPTIEREN NUR YUAN SORRYABER WIR MÜSSEN AUCH ESSEN» geschrieben hatte. Ansonsten sah die Gegend bemerkenswert unbeschädigt aus, die Plünderungen schienen minimal gewesen zu sein. Von den Straßen stieg wie am Morgen nach einem gescheiterten Staatsstreich in der Dritten Welt eine tiefe Stille auf und ummantelte die Hochhäuser. Mehr denn je war ich stolz auf New York, denn es hatte etwas überlebt, was keine andere Stadt überlebt hätte: seine eigene Raserei.
    Der Eingang zur Linie F war übersät von Müll und Papier, die U-Bahn fuhr offensichtlich nicht. Zu Fuß ging ich die Grand Street hinauf, ein einsamer Mann, der das Drückende des August wie auch den seltsamen Hunger des Lebendigseins verspürte und darüber nachdachte, was wohl als Nächstes kommen würde. Auf alle Fälle brauchte ich echtes Geld, keine Dollars.
    Vor meiner Filiale der HSBC in Chinatown wartete ein Drachenschwanz armer chinesischer Mittelschichtsangehöriger auf das Urteil über ihre Ersparnisse. Ich fragte mich, ob diese ruinierten älteren Damen und Herren mit ihren leberfleckigen Halbglatzen, die im Seward Park in Turnschuhen für drei Yuan Tai-Chi-Übungen machten, einen Weg zurück in ihr nun reicheres Geburtsland finden könnten. Würde man sie dort überhaupt willkommen heißen? Wie würde es Eunice’ Eltern ergehen, falls sie beschlossen, nach Korea zurückzukehren?
    Ich stand eine Stunde an und lauschte einem Mann aus der Karibik, der, von Kopf bis Fuß in Jeansstoff gekleidet, die rissige Haut von Patschuli-Öl glänzend, uns seine Weltsicht vorsang. «Diese ganzen Wapachung-Typen, diese Staatling-Typen, die greifn sich doch nur das Geld und haun ab. Sie machen die Wirtschaft kaputt, sie räumen unsre Taschen leer. Das is doch Erpressung. Das sind doch Mafiamethoden. Wieso ham sie die Fähre abgeschossen? Wer kontrollierthier wen? Das möcht ich mal wissen. Und wisst ihr was, wir werdens nie erfahrn, weil wir kleine Leute sind.»
    Ich wollte dem Mann eine Antwort geben, mit der er leben könnte, doch meine Kehle blieb stumm, obwohl mein Kopf fieberhaft arbeitete. Nicht jetzt, nicht jetzt. Heb dir die Fragen für Joshie auf.
    Mein Konto war immer noch voll genug, dass ich an einen besonderen Schalter gebeten wurde, zu einer alten Griechin, die sie von einer geplünderten Filiale in Astoria herversetzt hatten und die mir nun alles erläuterte. Alle meine Yuan-gekoppelten Vermögenswerte waren relativ stabil geblieben, doch mein AmericanMorning-Portfolio   – Kraft, AlliedWasteCVS und das ehemalige Konglomerat aus Stahl, Beton und Dienstleistungen, das früher die fortschrittliche Wirtschaft repräsentiert hatte – war jetzt ohne Wert. Vierhunderttausend Yuan, zwei Jahre der Selbstverleugnung und miesen Trinkgelder in Restaurants: alles weg. Wenn man die mit Eunice zusammenhängenden Ausgaben des letzten Monats abzog, war mein Vermögen auf 1   190   000   Yuan geschrumpft. Unterm Gesichtspunkt Unsterblichkeit lag ich schon auf dem Leichentisch. Unterm Gesichtspunkt Überleben, dem neuen Goldstandard für alle Amerikaner, stand ich ziemlich gut da. Ich hob zweitausend Yuan ab, das massige Gesicht des Vorsitzenden Mao mit dem erstaunlichen Haaransatz starrte von den Hundertern zurück, und versteckte die Scheine im Socken. «Sie sind der reichste Mann in Chinatown», sagte

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