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Super Sad True Love Story

Super Sad True Love Story

Titel: Super Sad True Love Story Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Shteyngart
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die Frau am Schalter. «Gehen Sie nach Hause zu Ihrer Familie.»
    Meine Familie. Wie gelang ihr das Überleben? Was war auf Long Island geschehen? Würde ich je wieder ihr nervöses Singvogelgeträller hören? An einer Straßenecke sah ich einen Mann ein Auto anhalten und mit dem Fahrer einen Preis fürs Mitnehmen aushandeln. Mein Vater hattemir erzählt, dass er sich als junger Mann immer so durch Moskau fortbewegt und einmal sogar einen Streifenwagen angehalten hatte, dessen Fahrer sein Polizistengehalt aufbessern wollte. Ich streckte die Hand aus, und ein Hyundai Persimmon, über und über mit kolumbianischen Insignien behängt, kam neben mir zum Stehen. Ich vereinbarte zwanzig Yuan für eine Fahrt in die Upper East Side, und in den nächsten paar Minuten glitt die Stadt ernst und leer an mir vorüber, was im Kontrast zur empörend fröhlich-beschwingten Salsa-Musik stand, die das Wageninnere erfüllte. Mein Fahrer war so etwas wie ein kleiner Unternehmer und verkaufte mir unterwegs einen hypothetischen Sack Reis, den sein Cousin Hector mir nach Hause liefern sollte. «Früher hatte ich vor allem Möglichen Angst», sagte er und schob die Sonnenbrille nach unten, um mir seine schlaflosen Augen zu zeigen, in denen die braune Iris in den beiden äußeren Farben der kolumbianischen Flagge schwamm, «aber jetzt sehe ich, was unsere Regierung wirklich ist. Nichts drinnen! Wie Holz. Du brichst es auf,
nichts
. Jetzt werde ich mein Leben leben. Und ich werde Geld verdienen. Echtes Geld.
Chinesisches
Geld.» Ich versuchte, für die Dauer der Fahrt sein Freund und ökonomischer Vertrauter zu werden, indem ich gelegentlich «Mh-mm, mhmm» machte, im üblichen unverbindlichen Ton, den ich bei Leuten anschlage, mit denen ich nichts gemein habe, doch als wir unser Ziel erreichten, stieg er heftig auf die Bremse.
«Salte, hijueputa!»
, rief er. «Raus! Raus! Raus!» Ich kletterte hastig aus dem Wagen, der sofort mit quietschenden Reifen in die entgegengesetzte Richtung davonbrauste, ohne dass der Fahrpreis entrichtet worden wäre.
    Die Straße war voller Nationalgardisten.
    Ich hatte keine Soldaten auf den Straßen gesehen, seit ich meine Wohnung verlassen hatte, doch die Synagoge derPosthumanen Dienstleistungen war vollständig von bewaffneten Truppentransportern und Gardisten umstellt, die mein Äppärät wohlgemut als Kontingent von WapachungKrise identifizierte. (Bei näherem Hinsehen erkannte ich, dass die Flaggen und Abzeichen der Nationalgarde fast gänzlich von Fahrzeugen und Uniformen entfernt worden waren; diese Männer waren ausschließlich von Wapachung.) Sie schützten die Eingangstüren des Gebäudes vor einer tobenden Horde junger Menschen, anscheinend unsere frisch entlassenen Mitarbeiter, unsere schönen Daltons, Logans und Heaths, unsere Avas, Aidens und Jaidens, die mir in der Eternity Lounge zugesetzt hatten und jetzt Joshies Synagoge bedrängten, den Urgrund ihrer Identität, ihrer Egos, ihrer Träume. Meine Nemesis Darryl, der SUK-DI K-Typ , sprang herum wie eine brennende Heuschrecke und versuchte, meine Aufmerksamkeit zu erhaschen. «Lenny!», rief er mir nach, als ich auf die Gardisten am Eingang zuging, meinen Äppärät zum Scannen hinhielt und mit einem knappen Nicken durchgelassen wurde. «Sag Joshie, das ist nicht fair! Sag Joshie, ich arbeite auch fürs halbe Gehalt! Tut mir leid, wenn ich dich verletzt habe! Ich wollte mich beim Miso-Gelage im November für dich einsetzen. Ach komm, Lenny!»
    Von der obersten Stufe der Treppe vorm Synagogeneingang warf ich einen Blick auf sie. Wie vollkommen sie aussahen. Wie absolut blendend und topaktuell und jung. Selbst mitten im Unglück arbeiteten ihre neuro-verstärkten Hirne noch messerscharf, versuchten etwas auszutüfteln, damit sie wieder eingelassen wurden. Aus evolutionärer Warte waren sie dafür geschaffen, ein herausragendes Leben zu führen, und jetzt ging die Zivilisation um sie herum in die Knie. Was für ein unglaubliches Pech!
    Und dann war ich drinnen; im Hauptheiligtum drängtensich weitere Gardisten in voller Kampfmontur. Die Anzeigentafeln tickten wie wahnsinnig, da der größte Teil unserer Belegschaft ein ZUG FÄLLT AUS verpasst bekam. Das gleichzeitige Flappen der Klappen auf fünf Tafeln klang, als wären verschiedene Taubenbanden in unsere Hauptgeschäftsstelle eingedrungen und bekämpften sich jetzt im Flug. Ich stand vor einem der Buntglasfenster, das den Stamm Juda darstellte, verkörpert von einem Löwen und einer Krone, und

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