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Super Sad True Love Story

Super Sad True Love Story

Titel: Super Sad True Love Story Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Shteyngart
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ich eine braune Zwanzig-Yuan-Note aus der Tasche und legte sie ihm vor die Füße. Sofort zuckte seine Hand danach. Der Schein wurde in die Faust geknüllt. Die Faust hinterm Rücken versteckt. Sein Gesicht drehte sich langsam zu mir. Der Blick aus braunen Augen, den er mir zuwarf, zeigte keine Dankbarkeit, sondern besagte:
Lass mich allein mit meinem frischerworbenen Vermögen, sonst hau ich dir mit letzter Kraft eine rein.
Ich ließ ihn, Faust hinterm Rücken, Blick auf meinen davoneilenden Füßen, sitzen.
    Ich weiß auch nicht, was los ist. Entweder ist die Stadt total am Ende, oder sie versucht schon wieder Erlösung zu erlangen. Neue Schilder werden aufgestellt. «N Y-Touris mus : Sind Sie bereit für den Bruch?» und «New York für Harte: Haben Sie das Überlebens-Gen?».
    Soweit ich das beurteilen kann, sind die einzigen Arbeitsplätze in und um Manhattan auf den Baustellen der «Staatling-Wapachung Arbeitsausführung» zu finden, wo mit dem Versprechen «Eine Stunde ehrlicher Arbeit = 5-Jiao -Münze. Nahrhaftes Mittagessen inklusive» geworben wird. Reihen von Männern brechen Asphalt auf, graben Gräben, füllen Gräben mit Zement. Diese Fünf-Jiao-Männer streifen, Hände in den Taschen, unnütze rudimentäre Äppärät-Kopfhörer in den Ohren, wie ein Rudel stimmloser Löwen durch die Stadt. Sie sind mittleren Alters oder jünger, ihr kümmerliches Haar ist von der Sonne gebleicht, brutale Sonnenbrände auf Gesicht und Nacken, teure, in glücklicheren Tagen gekaufte T-Shirts , ungekannte Schweißlandschaften, die sich bis zum Bauch erstrecken. Schaufeln, Spitzhacken, lautes Ausatmen, nicht mal mehr ein Grunzen, um Kraft zu sparen. Ich sah Noahs alten Freund Hartford Brown, der noch vor wenigen Monaten auf einer Yacht in den Antillen gefickt worden war und jetzt in einer Fünf-Jiao-Kolonne in der Prince Street arbeitete. Er sah zweigeteilt aus, die eine Seite braun gebrannt, die andere pellte sich, sein etwas moppeliges Gesicht hatte jede Oberflächenstruktur verloren, ähnelte einer dicken Scheibe Prosciutto. Wenn sie einen berühmten Schwulen wie ihn so zum Arbeiten bringen können, dachte ich, was können sie dann erst mit uns anderen anstellen?
    Während er seine Hacke schwang, trat ich dicht an ihn heran, sein fieser Körpergeruch hieb mir in die Nase. «Hartford», sagte ich. «Ich bin’s, Lenny Abramov. Noahs Freund.» Ein schreckliches Ausatmen von schrecklich tief drinnen. «Hartford!» Er wandte sich ab. Jemand mit Megaphon rief: «Jetzt
wollen
wir aber wieder an die Arbeit, Brownie!» Ich gab ihm einen Hundert-Yuan-Schein, den auch er ohne Dank an sich nahm, dann schwang er wieder seine Hacke. «Hartford», sagte ich. «Hey! Du musst jetzt nicht mehr arbeiten. Hundert Yuan entsprechen zweitausend Arbeitsstunden. Entspann dich. Ruh dich aus. Geh in den Schatten.» Aber er schwang einfach ganz mechanisch weiter, ignorierte meine Anwesenheit, war schon wieder in seine Welt eingetaucht, die mit der Hacke hinter seiner Schulter begann und mit der Hacke im Erdboden endete.
     
    Zu Hause nahm Eunice die Organisation der Hilfsmaßnahmen für ältere Nachbarn in die Hand. Warum, weiß ich nicht. Regte sich ihre christliche Erziehung? Der Kummer, weil sie ihren eigenen Eltern nicht helfen konnte? Ich nehme es einfach mal so hin.
    Sie ging in unseren vier Gebäuden von Stockwerk zu Stockwerk, also in insgesamt achtzig Stockwerke, klopfte an jede Tür, und wenn ältere Menschen aufmachten, notierte sie ihren Nahrungsmittel- und Wasserbedarf und sorgte dafür, dass die Vorräte in der nächsten Woche mit einem von Joshies Staatling-Wapachung-Service-Konvois geliefert wurden. Wieso hilft er uns? Ich vermute, dahinter stecken Schuldgefühle wegen Noah und der Fähre, vielleicht auch wegen DER OHRFEIGE. Ist auch egal, wir können jedenfalls alles gebrauchen, was er liefern kann.
    Das Wasser hat sie – dann und wann mit meiner Hilfe – selbst in jede Wohnung gebracht, sie hat darauf geachtet,dass alle Fenster und Türen offen standen, um den Luftaustausch zu verbessern, sie setzte sich hin und hörte den alten Leuten zu, die darüber klagten, dass ihre Kinder und Enkel übers ganze Land verstreut waren und sie ihretwegen schlimmste Befürchtungen hegten, sie bat mich, gewisse jiddische Wörter zu übersetzen («dieser
farkakte
Rubenstein», «dieser
Schlemihl
Rubenstein», «dieser kleine
Pischer
Rubenstein»), doch vor allem saß sie einfach nur bei ihnen und nahm sie in den Arm, wenn ihre Tränen die

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