Super Sad True Love Story
ich Probleme, all die darin ausgebreiteten Gedanken zu verstehen, von Eunice ganz zu schweigen.
Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins
war ein Ideenroman, der in einem Land spielte, das ihr nichts sagte, der Tschechoslowakei, und in einer Zeit angesiedelt war, die es nach ihrem Dafürhalten genauso gut nie gegeben haben mochte – der des sowjetischen Einmarschs 1968. Sie hatte gelernt, Italienzu lieben, doch das war ein viel leichter bekömmliches, apartes Land, ein Land der Images.
Auf den ersten paar Seiten erörtert Kundera einige abstrakt bleibende historische Gestalten: Robespierre, Nietzsche, Hitler. Um Eunice’ willen wollte ich, dass endlich die Handlung losging, dass gegenwärtige, «lebendige» Charaktere auftraten – mir fiel ein, dass es eine Liebesgeschichte war – und wir die Welt der Ideen hinter uns ließen. Hier lagen wir, zwei Menschen miteinander im Bett, Eunice’ sorgenvoller Kopf war auf mein Schlüsselbein gebettet, und ich wollte, dass wir gemeinsam etwas fühlten. Ich wollte, dass diese komplexe Sprache, diese Woge des Intellekts, sich in Liebe verwandelte. Hat man es nicht vor einem Jahrhundert so gemacht, haben die Menschen sich nicht früher Gedichte vorgelesen?
Auf Seite 12 hatte ich als grüblerischer, noch jungfräulicher Teenager eine Stelle unterstrichen. «Einmal ist keinmal […]. Wenn man ohnehin nur einmal leben darf, so ist es, als lebe man überhaupt nicht.» Daneben hatte ich in schattierten Druckbuchstaben «EUROPÄISCHER ZYNISMUS oder SEHR ERSCHRECKENDE WAHRHEIT???» geschrieben. Ich las die Zeilen noch einmal, langsam, mit Betonung, direkt in Eunice’ keckes, schmalzfreies Ohr, und überlegte dabei, ob dieses Buch vielleicht meine Suche nach Unsterblichkeit angestoßen hatte. Joshie selbst hatte einmal zu einem wichtigen Klienten gesagt: «Ewiges Leben ist das einzige Leben, das zählt. Alles andere ist bloß das Kreisen der Motte ums Licht.» Er hatte nicht bemerkt, dass ich in der Bürotür stand. Unter Tränen kehrte ich an meinen Arbeitsplatz zurück, fühlte mich dem Nichts überlassen, der Motte gleich, und war dennoch beeindruckt von Joshies ungewöhnlicher Poesie. Den Satzteil mit der Motte meine ich. Mit mir redete er nie so. Er unterstrichimmer die positiven Aspekte meiner kurzen Existenz, dass ich zum Beispiel Freunde hätte und mir gute Restaurants leisten könne und nie lange ganz allein sei.
Ich las weiter, fühlte Eunice’ feierlichen Atem an meiner Brust. Tomas, die Hauptfigur, begann mit vielen attraktiven tschechischen Damen zu schlafen. Einige Male wiederholte ich die Passage, wo seine Geliebte in Slip und BH und mit einer schwarzen Melone vor ihm steht. Ich zeigte auf die Melone des Umschlagbilds. Eunice nickte, aber ich merkte, dass Kundera zu viele Worte um den Fetisch gemacht hatte, als dass sie daraus das ziehen konnte, was ihre Generation von jeder Art Inhalt braucht: eine gebrauchsfertige Welle der Erregung, eine vorübergehend geliehene Befriedigung.
Auf Seite 64 fotografieren Tomas’ Frau Teresa und seine Geliebte Sabina einander nackt, nur mit der ständig wiederkehrenden Melone bekleidet. «Sie war Tomas’ Freundin ausgeliefert», las ich auf der nächsten Seite und zwinkerte Eunice zu. «Diese schöne Ergebenheit berauschte sie.» Ich wiederholte die Worte «schöne Ergebenheit». Eunice regte sich. Mit einem Schnippen entledigte sie sich ihrer TotalSurrenders und kroch aufwärts, um sich rittlings auf mein Gesicht zu setzen. Das Buch noch halb offen in einer Hand, umfasste ich mit der anderen ihre Hinterbacken und bewegte meine Zunge in der üblichen Weise an ihrer Öffnung. Eine kurze Weile zog sie sich zurück und gestattete mir einen Blick in ihr Gesicht. Ich missdeutete ihren Ausdruck als Lächeln. Doch es war etwas anderes, ein leichtes Schürzen des Mundes, die Unterlippe nach rechts verschoben. Es war Verblüffung: die Verblüffung darüber, so vollständig geliebt zu werden, die Verblüffung über das Wunder, dass man sie nicht schlug. Wieder glitt sie über mich und gab nun eine Reihe von Grunzlauten von sich,in einer Tonlage und Lautstärke, wie ich sie noch nie gehört hatte. Als spräche sie in einer fremden Sprache, die mit der Geschichte nicht Schritt gehalten hatte, sondern beim urtümlichen «Gah» verharrte. Ich hob ihren Körper an, weil ich nicht sicher war, ob sie es genoss. «Sollen wir aufhören?», fragte ich. «Tue ich dir weh?» Sie presste sich auf mein Gesicht und wiegte ihren Körper immer
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