Super Sad True Love Story
mich tun konnten als ich für sie.
Uns umwehten Eigenheiten des jeweils anderen: die Makellosigkeit meiner Mutter, der unverfälschte Moschusgeruch meines Vaters meine eigene Duftnote von vergehender Jugend und verblassender Urbanität. Ich weiß nicht mehr, ob wir einander im Eingangsflur nichts – oder alles – eröffneten, doch nachdem meine Mutter das Wohnzimmersofa rituell mit einer Plastiktüte abgedeckt hatte, damit ich es nicht mit der Fäulnis Manhattans besudelte, zog mein Vater mit der üblichen aufrichtigen Bitte nach: «
Nu, rasskaschi
(Na los, erzähl mal).»
Ich erzählte ihnen, soviel ich konnte, erzählte über alle Ereignisse der vergangenen zwei Monate, wobei ich Noahs Tod ausließ (meine Mutter hatte sich sehr gefreut, bei unserer Examensfeier «so einen gutaussehenden jüdischen Jungen» kennenzulernen) und stattdessen betonte, wie gut Eunice und ich miteinander auskämen und dass ich noch immer 1 190 000 Yuan auf dem Konto hätte. Meine Mutter hörte aufmerksam zu, seufzte und machte sich dann an die Zubereitung eines Rote-Bete-Salats. Als ich meinen Vater fragte, wie es denn ihnen ergangen sei, stellte er FoxLiberty-Prime lauter, wo gerade eine Sitzung der israelischen Knesset übertragen wurde und Rubenstein, offiziell immer noch Verteidigungsminister von was auch immer wir bald sein würden, dem rein orthodoxen Parlament Vorträge darüber hielt, wie man den Islamofaschismus bekämpfen könnte, wozu die schwarzgekleideten Männer zustimmend nickten, während einige von ihnen in eine zutiefst heilige Ferne starrten und mit ihren Mineralwasserflaschen hantierten. Auf dem anderen Bildschirm sah man bei FoxLiberty-Ultra – von wo zum Teufel sendeten die eigentlich noch solches Zeug? – drei hässliche Weiße aus allen Richtungeneinen hübschen Schwarzen anschreien, eine Szene, unter die der Slogan «Schwule sollen in NYC heiraten dürfen» eingeblendet war.
Mein Vater zeigte auf FoxLiberty-Ultra und fragte mich: «Ist es wahr, dass sie in New York
gomiki
heiraten lassen?»
Rasch eilte meine Mutter aus der Küche, einen Teller Rote-Bete-Salat in der Hand. «Was? Was hast du gesagt? Sie lassen jetzt
gomiki
heiraten?»
«Geh wieder in die Küche, Galja!», rief mein Vater mit einem ordentlichen Schuss seiner sonst unterdrückten Vitalität. «Ich unterhalte mich mit meinem Sohn!» Ich gab zu, dass ich in puncto Eheschließungen in meiner Heimatstadt nicht auf dem Laufenden sei, und sagte, dass es im Augenblick drängendere Probleme gebe, aber mein Vater wollte seine Meinung zum Thema noch detaillierter ausbreiten. «Mr. Vida glaubt», sagte er und gestikulierte in Richtung seines indischen Nachbarn, «dass
gomiki
die widerwärtigsten Kreaturen auf dem Erdball sind und kastriert und erschossen werden müssen. Aber ich weiß nicht. Es heißt
naprimer
(zum Beispiel), dass der berühmte russische Komponist Tschaikowski ein
gomik
war.
On soblasnil
(Er verführte) angeblich kleine Jungs, sogar den Sohn des Zaren! Und später soll der Zar ihn in den Selbstmord getrieben haben. Vielleicht ist das wahr, vielleicht auch nicht.» Mein Vater seufzte und hob eine Hand ans Gesicht. In seinen müden schwarzen Augen lag eine Traurigkeit, die ich erst einmal gesehen hatte – beim Begräbnis meiner Großmutter, wo er auf dem jüdischen Friedhof ein Geheul von so unerhörtem, animalischem Ursprung ausgestoßen hatte, dass wir zuerst dachten, es wäre aus dem benachbarten Wald gekommen. «Doch für mich», sagte er schwer atmend, «spielt das keine Rolle. Weißt du, einem Genie wie Tschaikowski könnte ich alles vergeben,
alles!
»
Mein Vater hatte immer noch den Arm um mich gelegt, hielt mich fest, machte mich zu seinem Eigentum. Ich wusste nicht mehr, worüber er sprach. Ein verwirrter Teil von mir wollte ihn fragen: «Papa, der
99¢
-Laden auf der Old Country Road wird von einem gepanzerten Jeep bewacht, und du willst über
gomiki
reden?» Doch ich schwieg. Wem würden meine Einwände auch helfen? Ich spürte den Kummer, der in diesem Haus in alle Richtungen floss, Kummer seinetwegen, ihrer beider wegen, unser dreier wegen – Mama, Papa, Lenny. «Tschaikowski», sagte mein Vater, und jede schwere Silbe entlockte seinem tiefen Bariton einen unbestimmbaren Schmerz. Er hob die Hand und dirigierte stumm einen Satz, vielleicht aus der schwermütigen Sechsten Symphonie. «Pjotr Iljitsch Tschaikowski», sagte mein Vater, in Ehrerbietung vor dem homosexuellen Komponisten versunken. «Er hat mir so
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