Super Sad True Love Story
viel Freude gebracht.»
Als meine Mutter mich schließlich zum Abendessen rief – nachdem ich mich oben kurz ausgeruht und festgestellt hatte, dass der Aufsatz meines Vaters über «Die Freuden des Basketballspiels» durch ein Hochglanzposter der israelischen Festung Masada ersetzt worden war –, war ich selbst den Tränen nahe. Normalerweise war der Esstisch der Länge nach von verschiedenen Fleisch- und Fischgerichten bedeckt, doch diesmal war er fast leer – bloß der Rote-Bete-Salat, Tomaten und Paprika aus dem Garten, ein Teller eingelegte Pilze und ein paar Scheiben verdächtig weißen Brotes.
Meine Mutter bemerkte meinen Verdruss. «Beim Waldbaum’s gibt es Lücken, und außerdem haben wir Angst vor den Kreditmasten», sagte sie. «Was, wenn sie noch in Betrieb sind? Und wenn man uns deportieren will? Manchmal nimmt Mr. Vida uns in seinem Pick-up mit, aber ansonsten sind Nahrungsmittel schwer aufzutreiben.»
Und dann dämmerte mir eine ganz andere Wahrheit, erinnerte mich daran, wie sehr ich um mich selbst kreiste, wie viel Wut ich tief im Inneren immer noch auf die Abramovs und ihren vertrackten Haushalt hatte. Die Durchsichtigkeit, die mir zu Anfang aufgefallen war, die Verschmelzung der beiden – man musste ihre Leiber und ihre verkümmerten Bewegungen nur mal genauer unter die Lupe nehmen.
Meine Eltern hungerten.
Ich ging in die Küche und schaute in die fast leere Vorratskammer – Kartoffeln aus dem eigenen Garten, eingemachte Paprika, eingelegte Pilze, vier Packungen in Scheiben geschnittenes, schimmliges Weißbrot, zwei rostige Dosen mit so was wie Dorsch aus Bulgarien. «Das ist ja schrecklich», sagte ich zu den beiden. «Wir haben Jeeps vor der Tür stehen. Lasst uns wenigstens zusammen zum Waldbaum’s fahren.»
«Nein, nein», riefen sie wie aus einem Mund.
«Setz dich», sagte mein Vater. «Da ist Rote-Bete-Salat. Es gibt Brot und Pilze. Du hast Tagamet mitgebracht. Was brauchen wir mehr? Wir sind alte Leute. Bald sind wir tot und vergessen.»
Sie wussten genau, was sie sagen mussten. Ich hatte einen Tritt in den Bauch bekommen, den Anschein hatte es jedenfalls, denn nun hielt ich mir den relativ vollen Wanst, und jede Art von Sorge wühlte sich durch meinen Verdauungstrakt.
«Wir fahren zum Waldbaum’s», sagte ich und hob die Hand, um die zu erwartenden schwachen Proteste abzuwehren. Der entschlussfreudige Sohn hat gesprochen. «Darüber wird nicht diskutiert. Ihr braucht Essen.»
Wir zwängten uns in einen der Jeeps, der andere bildete die Vorhut, und Palatinos Männer richteten ihre Waffen auf eine Bande Nichtsnutze, die sich um ein Gebäude scharten,das früher einmal das
Friendly’s Restaurant
gewesen war, jetzt aber offensichtlich als Hauptquartier einer lokalen Miliz diente. Hatte Russland nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion auch so ausgesehen? Vergebens versuchte ich, das Land um uns herum nicht nur mit den Augen meines Vaters, sondern auch vor dem Hintergrund seiner persönlichen
Geschichte
zu sehen. Ich wollte mit ihm Teil eines bedeutsamen Kreislaufs sein, der nicht bloß Geburt und Tod umfasste.
Während meine Mutter mit Bedacht eine Liste der Dinge schrieb, die sie benötigten, erzählte mein Vater mir einen Traum, den er jüngst gehabt hatte. Ein paar der Ingenieure – «Chinesensäue» – in dem Labor, in dem er früher als Hausmeister arbeitete, beschuldigen ihn, bei seinen morgendlichen Kontrollrundgängen Strahlung freizusetzen, und er steht kurz vor der Verhaftung, doch am Ende wird er freigesprochen, weil zwei russische Hausmeisterinnen aus Wladiwostok auftauchen und einige Inder als Verantwortliche für das Strahlungsleck dingfest machen. «Als ich aufwache, blutet mir vor Angst die Lippe», sagte mein Vater, und sein grauer Schädel zitterte, so lebendig war noch die Erinnerung daran.
«Es heißt, dass Träume oft eine geheime Bedeutung haben», sagte ich.
«Ich weiß, ich weiß.» Er winkte ab. «Psychologie.»
Ich tätschelte das Knie meines Vaters, wollte Trost spenden. Er trug Jeans, alte Reebok-Sneaker, die ich ihm vererbt hatte, ein Ocean-Pacific- T-Shirt mit verblichenem Aufbügelmotiv von jungen südkalifornischen Surfern, die ihre Boogie-Boards präsentieren (auch das aus der Teenagerkollektion des Lenny Abramov), dazu eine Plastiksonnenbrille, die aussah, als wäre sie von einem Ölfilm überzogen. Auf seine ureigene Art war er großartig. Der letzte lebende Amerikaner.
Wir bogen auf den Parkplatz der Ladenzeile ein, in der sich
Weitere Kostenlose Bücher