Super Sad True Love Story
Anrede des unhöflichen Jungspunds im Flugzeug fiel mir wieder ein, der sich über den Geruch meines Buches beschwert hatte. «Alter, ich
spüre
förmlich deine Wut. Klar mache ich einen Bluttest, kein Thema, aber wo wir schon dabei sind, können wir auch gleich deinen Cortisol- und Ephedrinspiegel bestimmen. Ich werde deinen Stresspegel auf die Anzeigetafeln schalten. Du bringst dich nicht gut ein.»
Doch niemand hörte meine empörten Worte. Der auf meiner Höhlenmenschenstirn glitzernde Schweiß sprach eine deutliche Sprache. War eine offene Einladung. Lasst die Jungen die Alten fressen. Der SUK-DI K-Typ schubste mich sogar, bis ich die Kälte der Loungewand am dünn behaarten Hinterkopf spürte. Er schob mir wieder seinen Äppärät ins Gesicht. Darauf blinkten meine Blutwerte von vor einem Jahr.
«Wie kannst du dich trauen, hier mit so einem Body-Mass-Index einfach reinzuspazieren?», fragte er. «Meinst du, du könntest einfach einem von uns den Schreibtisch wegnehmen? Nachdem du in Italien ein Jahr lang einen Scheiß geleistet hast? Wir wissen alles über dich, Äffchen. Ich schieb dir gleich eine kohlenhydratsatte Makrone in den Arsch, wenn du dich nicht
sofort
verpisst.»
Hinter ihm stieg ein gewaltiges Sitcom-Gelächter auf – ein mächtiges
huuuuuu
aus fröhlicher Wut und überschwänglichem Entsetzen, die Selbstbestätigung des Stammes im Triumph über sein schwächstes Mitglied.
Zweieinhalb Herzschläge später verstummte das Geheul abrupt.
Ich hörte, wie Sein Name gemurmelt wurde, und das Klipp-Klapp, als Er sich näherte. Die eben noch lautstarke Menge teilte sich, die SUK-DI K-Krieger schlichen von dannen, all die Darryls und Heaths.
Und da war er. Jünger als zuvor. Die anfänglichen Dechronifizierungsbehandlungen – die Beta-Behandlungen, wie wir sie nennen – strömten bereits durch seinen Körper. Sein Gesicht war faltenlos und von stiller Harmonie, abgesehen von der dicken Nase, die gelegentlich unkontrolliert zuckte, weil eine Muskelgruppe falsch verkabelt war. Die Ohren standen am geschorenen Schädel wie zwei Wächter.
Joshie Goldmann gab sein Alter niemals preis, aber ich nahm an, dass er Ende sechzig war: Ein weit über sechzigjähriger Mann mit einem Schnauzbart, so schwarz wie die Ewigkeit. In Restaurants hatte man ihn schon irrtümlich für meinen attraktiveren Bruder gehalten. Wir hatten die ungeliebten fleischigen Lippen gemeinsam, die dichten Augenbrauen und die wie bei einem Terrier vorstehende Brustpartie, aber das war es auch schon. Denn wenn Joshie einen ansieht, wenn er seinen Blick zu einem senkt, dann steigt einem Hitze in die Wangen, und unweigerlich fühlt man sich seltsam gegenwärtig.
«Ach, Leonard», sagte er und seufzte kopfschüttelnd, «machen dir die Burschen das Leben schwer? Armer Rhesus. Na komm. Lass uns reden.» Ich folgte ihm scheu auf die Treppe nach oben (keine Fahrstühle,
niemals
) zu seinem Büro. Joshie hat ein orthopädisches Problem, über das er noch nie gesprochen hat und das dazu führt, dass er etwas unausgewogen, abgehackt, trippelnd, ruckweise von einem Fuß auf den anderen tritt, als würde ihn ein Klavierstück von Philip Glass antreiben.
In seinem Büro drängte sich ein Dutzend junger Angestellter, die ich noch nie gesehen hatte und die alle durcheinanderredeten. «Homies», sagte er zu seinen Jüngern. «Gebt ihr mir mal eine Minute? Wir steigen gleich wieder ein. Nur eine Sekunde.» Kollektives Seufzen. Sie zogen an mir vorbei, überrascht, erregt, verwundert, und ihre Äppäräte spuckten schon Daten über mich aus, erzählten ihnen vielleicht, wie wenig ich bedeutete, verrieten meine neununddreißigjährige Überflüssigkeit.
Er fuhr mit der Hand durchs volle Haar in meinem Nacken und drehte meinen Kopf. «So viel Grau», sagte er.
Fast schreckte ich vor seiner Berührung zurück. Was hatte Eunice in einem unserer letzten gemeinsamen Augenblicke gesagt?
Du bist alt, Len.
Doch stattdessen ließ ich mich von ihm genauestens inspizieren, betrachtete im Gegenzug das scharfe Adlerprofil seiner Brust, die muskulöse Präsenz seiner Nase vom Kaliber Nettie Fine, das unsichere Gleichgewicht, mit dem er sich überm Erdboden hielt. Seine Hand war tief in meinem Schopf vergraben, und seine Finger fühlten sich ungewöhnlich kalt an. «So viel Grau», wiederholte er.
«Liegt an den Kohlenhydraten der Pasta», stammelte ich. «Und an den Stressfaktoren des italienischen Lebens. Ob du’s glaubst oder nicht, es ist da drüben nicht so
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