Super Sad True Love Story
Q-10
«Vielleicht gehe ich mal an meinen Schreibtisch», sagte ich zu Kelly.
«Schätzchen», sagte sie und schlang ihre langen Finger um meine. In ihren blauen Augen könnte man ein Kätzchen ertränken.
«O Gott», sagte ich. «Verschone mich.»
«Du hast keinen Schreibtisch mehr. Ich meine, jemand anders hat ihn. Dieser neue Junge von der Brown-Yonsei-Universität.
Darryl
, glaube ich.»
«Wo ist Joshie?», fragte ich unwillkürlich.
«Auf dem Rückflug von Washington.» Sie sah auf ihremÄppärät nach. «Sein Jet hatte einen technischen Defekt, also fliegt er Linie. Gegen Mittag wird er zurück sein.»
«Was soll ich tun?», flüsterte ich.
«Es würde schon helfen», sagte sie, «wenn du ein bisschen jünger aussähst. Pass besser auf dich auf. Geh in die Eternity Lounge. Schmier dir Hylexin unter die Augen.»
Die Eternity Lounge war knüppelvoll mit unschön riechenden jungen Leuten, die ihre Äppäräte vor der Nase hatten oder sich auf Sofas weit zurücklehnten, das Gesicht zur Decke, richtig atmend, Stress abbauend. Der harmonisch nussige Duft ziehenden grünen Tees würzte mein allgemeines Angstklima mit ein wenig Nostalgie. Ich war dabei gewesen, als wir die Eternity Lounge vor fünf Jahren im ehemaligen Speisesaal der Synagoge eingeweiht hatten. Drei Jahre hatten Howard Shu und ich gebraucht, den Geruch nach saurem Rindfleisch zu beseitigen.
«Hi», sagte ich zu allen, die es hören wollten. Ich ließ den Blick über die Sofas schweifen, aber es war kaum noch Platz, sich irgendwo dazwischen zu quetschen. Ich zog meinen Äppärät heraus, bemerkte jedoch, dass die jungen Leute alle das neue kieselsteinartige Modell hatten, das auch Eunice um den Hals trug. Mindestens drei der jungen Frauen im Raum waren bildschön auf eine Weise, die übers rein Körperliche hinausging und sowohl ihre glatte, weiche, ethnisch uneindeutige Haut als auch ihre traurigen braunen Augen bis ins frühste Mesopotamien zurückreichen ließ.
Ich ging zur Minibar, wo es den ungesüßten grünen Tee gab, dazu alkalisiertes Wasser und die 231 täglichen Nahrungsergänzungsmittel. Gerade wollte ich mich, der entzündungshemmenden Wirkung wegen, über Fischöl und Kurkuma hermachen, als jemand über mich lachte, weibliches Gelächter, was also noch viel vernichtender war. Meine Kollegen, leger über die üppige Sofalandschaft verteilt, sahenaus wie die Akteure einer Sitcom über junge Menschen in Manhattan, die ich in meiner Jugend wie besessen verfolgt hatte. «Bin grad von einem Jahr in Roma zurück.» Ich versuchte, Kühnheit in meine Stimme zu pumpen. «Nichts als Kohlenhydrate da drüben. Muss wie
bescheuert
Essentials nachlegen. Schön, wieder hier zu sein, Leute!»
Schweigen. Doch als ich mich wieder den Ergänzungsmitteln zuwandte, sagte jemand: «Was geht denn ab, Rhesusäffchen?»
Es war ein junger Typ mit spärlichem Bartwuchs auf der Oberlippe und in einem grauen Einteiler, auf dessen Brustpartie der Markenname SUK DIK gestickt war, um den Hals trug er eine Art rotes Kopftuch. Wahrscheinlich Darryl von der Brown, der sich meinen Schreibtisch geschnappt hatte. Konnte kaum älter als fünfundzwanzig sein. Ich lächelte ihn an, schaute auf meinen Äppärät, seufzte, als läge zu viel Arbeit vor mir, und wollte mich dann lässig aus der Lounge schleichen.
«Wo willst du denn hin, Rhesus?», fragte er und versperrte mir mit seinem mageren, dünnarschigen Leib den Weg, schob mir seinen Äppärat ins Gesicht und vernebelte mir mit seinem schweren Bio-Geruch die Nase. «Willst du uns nicht mal ein bisschen Blut testen lassen, Kumpel? Ich sehe hier, die Triglyceride sind bei 135, und das war schon so,
bevor
du dich wie eine kleine feige Schlampe nach Europa verpisst hast.» Im Hintergrund wieder lautes Johlen, die Frauen genossen das verbale Gift offenbar.
Ich wich zurück und murmelte: «Eins fünfunddreißig ist noch im Normbereich.» Wie ging noch die Abkürzung, die Eunice verwendet hatte? «BGM», sagte ich. «Bloß gefickt, Mann.» Wieder Gelächter, ein zinngraues Kinn blitzte im Hintergrund auf, haarlos glänzende Hände hielten schnittige, mit den richtigen Daten bestückte Technologie-Anhänger.Einen Moment stand mir Tschechows Prosa vor Augen, seine Beschreibung des Moskauer Kaufmannssohnes Laptew, der «wusste, dass er nicht schön war, und nun schien es ihm, als spüre er diese Hässlichkeit am ganzen Körper».
Noch wehrte sich das in die Enge getriebene Tier in mir. «Alter», sagte ich, denn die
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