Super Sad True Love Story
so mit Lenny zu reden, Darryl», sagte sie. «Für wen hältst du dich? Bloß weil er älter ist als du? Ich kann’skaum erwarten, dass du dreißig wirst. Ich habe deine Tabellen gesehen. Schwere strukturelle Zellschäden aus der Zeit, als du dir jede Menge Heroin und Kohlenhydrate reingepfiffen hast, und deine gesamte dämliche Bostoner Familie neigt zu Alkoholismus und allem möglichen anderen Scheiß. Meinst du etwa, dein Stoffwechsel hält dich ewig so dünn? Auch ohne Training? Wann habe ich dich das letzte Mal bei ZeroMass oder NoBody trainieren sehen? Du wirst
ganz
schnell altern, mein Freund.» Sie nahm mich am Arm. «Komm, Lenny», sagte sie.
«Bloß weil er mal Joshies Kumpel war», rief Darryl hinter uns her. «Glaubst du, deshalb hast du das Recht, ihn zu verteidigen? Ich werde euch beide bei Howard Shu melden.»
«Er
war
kein Kumpel von Joshie», herrschte Kelly ihn an – wie herrlich sie aussah, wenn sie wütend war, dieser wilde amerikanische Blick, dieser ehrliche Ausdruck des enormen Kinns. «Sie sind
immer noch
Freunde. Ohne die Original Gangster wie Lenny gäbe es gar keine Posthumanen Dienstleistungen, und du hättest kein fettes Gehalt, sondern würdest gerade einen Abschluss in
Art&Design
am Purchase College machen, du kleines Stück Scheiße. Also sei deinen älteren Kollegen dankbar, sonst mach ich dich
fertig
.»
Stolz und verwirrt verließen wir beide die Eternity Lounge, als hätten wir einen durchgeknallten, gewalttätigen Jugendlichen in die Schranken gewiesen, und ich dankte Kelly eine halbe Stunde lang, bis sie mir freundlich bedeutete, den Mund zu halten. Ich machte mir Sorgen, dass Darryl bei Howard Shu petzen und der bei Joshie petzen und der sich aufregen würde, weil Kelly Darryl Stress gemacht hatte, denn das Stressen von Leuten wie Darryl ist in unserem Unternehmen absolut tabu. «Ist mir egal», sagte sie, «ich denke sowieso an Kündigung. Vielleichtziehe ich zurück nach San Francisco.» Die Vorstellung, die Posthumanen Dienstleistungen zu verlassen und der Unbeschränkten Lebensverlängerung abzuschwören, um in der Bay Area einen mageren Lebensunterhalt zu verdienen, schien mir gleichbedeutend mit einem Sprung vom Empire State Building, und zwar mit solcher Masse und Geschwindigkeit, dass die Myriaden von Sicherheitsnetzen sämtlich reißen und die Schädelknochen Bekanntschaft mit dem Asphalt schließen würden. Ich massierte Kellys Schultern. «Lass es», sagte ich. «Denk nicht mal dran, Kel. Wir werden für immer und ewig zu Joshie halten.»
Aber Kelly wurde gar nicht getadelt. Stattdessen kam eines schwülen Morgens, als ich ins Heiligtum unserer Synagoge schritt, Little Bobby Cohen auf mich zu, der jüngste Angestellte bei den Posthumanen Dienstleistungen (ich glaube, er kann höchstens neunzehn sein), in einer Art safrangelbem Mönchshabit. «Komm mit mir, Leonard», sagte er, und seine Bar-Mizwa-Stimme klang gepresst angesichts der Bedeutung dessen, was er vorhatte.
«Ach, was ist denn los?», fragte ich, während mein Herz so heftig Blut pumpte, dass meine Zehen schmerzten.
Auf dem Weg nach hinten in ein winziges Büro, wo dem süßlich-brackigen Geruch nach zu urteilen früher der Gefilte-Fisch-Vorrat der Synagoge gelagert worden war, sang Little Bobby: «Mögest du auf ewig leben, möge fremd dir sein der Tod, mögest du wie Joshie schweben auf dem Atem der Geburt.»
Mein Gott! Die Schreibtischzeremonie.
Und da stand er, umringt von einem Dutzend Angestellten und unserem Anführer (der mich umarmte und küsste) – mein neuer Schreibtisch! Kelly legte mir eine zeremonielle Knoblauchzehe in den Mund, gefolgt von ein paar zuckerfreien Niacin-Minzdrops, und ich betrachtete all diehübschen jungen Leute, die an mir gezweifelt hatten, all die Darryls und Freunde Darryls, und ich verspürte die Übelkeit erregende, unbeständige Gerechtigkeit der Welt. Ich war wieder da! Mein Versagen in Rom war so gut wie getilgt. Nun konnte ich von Neuem beginnen. Ich lief hinaus ins Heiligtum, wo die Anzeigetafeln lautstark meine Existenz verzeichneten, hörte den eintönigen, doch tröstlichen Klang der Lettern «LENNY A.», die am untersten Rand einer der Tafeln umklappten, sah daneben mein letztes Blutbild – nicht so toll – und den vielversprechenden Stimmungsindikator «zurückhaltend, aber kooperativ».
Mein Schreibtisch. Ganze dreißig Quadratzentimeter, funkelnd und elegant, voller Texte, Images und Streams, die von seiner digitalen Oberfläche aufstiegen, ein
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