Super Sad True Love Story
Dienstleistungen machen wir so ein Cowboys-und-Indianer-Spielchen. Wir von der Abteilung Öffentlichkeitsarbeit Lebensfreunde nennen uns «Cowboys», und die Mitarbeiter der Forschungsabteilungsind die «Indianer», meist Leiharbeiter aus Indien und Ostasien, untergebracht in einer 7500-m²-Anlage an der York Avenue und in drei Außenstellen: Austin/Texas, Concord/Massachusetts und Portland/Oregon.
Die Indianer halten den Ball flach. In den Bereichen, zu denen Besucher Zutritt haben, gibt es im Grunde nicht viel zu sehen – eigentlich das Gleiche, was man in jedem Büro sehen kann –, junge Menschen mit Äppäräten, abgekapselt vom Rest der Welt, gelegentlich ein Inkubator voller Mäuse oder irgendwelche rotierenden Gerätschaften. Zwei unserer geselligsten Forscher, die beide Prabal heißen, kamen aus den Krebs- und Virenlaboren, um ihn zu begrüßen, und halsten ihm noch mehr Terminologie auf, ergänzt durch ein paar gut einstudierte Werbesprüche: «Über die Alpha-Testphase sind wir hinaus, Mr. Barry. Ich würde sagen, wir sind definitiv in der Beta-Phase.»
Als wir wieder in der Synagoge waren, ließ ich Barry den Lebenswillen-Test durchlaufen. Den «Age Scan», um das biologische Alter des Probanden zu bestimmen. Den Sind-Sie-gewillt-in-schwieriger-Lage-durchzuhalten-Test. Den Ertragen-Sie-unendliche-Traurigkeit-Test. Den Wie-reagieren-Sie-auf-den-Verlust-der-Kinder-Test. Er muss gespürt haben, wie viel auf dem Spiel stand, denn seine spitze angelsächsische Nase zitterte, als die Images auf seine Pupillen projiziert und die Ergebnisse auf meinen Äppärät gestreamt wurden. Er würde alles tun, um durchzuhalten. Das Leben, das endlose Fortschreiten von einem Schmerz zum nächsten, stimmte ihn traurig, doch nicht trauriger als die meisten anderen Menschen. Er hatte drei Kinder, an die er sich ewig klammern würde, obwohl sein derzeitiger Kontostand nur erlaubte, zwei von ihnen
in die Ewigkeit
zu retten. Ich gab «Sophies Entscheidung» in meinen Aufnahme-Äppärät ein – nach Joshies Dafürhalten ein schweres Problem.
Barry war erschöpft. Der Patterson-Clay-Schwartz-Spracherkennungstest, der letzte Gradmesser für die Auswahl, konnte bis zur nächsten Sitzung warten. Ich wusste jetzt schon, dass dieser vollkommen vernünftige, übernatürlich freundliche 5 2-Jährige die Prüfung nicht bestehen würde. Sein Schicksal war besiegelt, genau wie meins. Also lächelte ich ihn an, gratulierte ihm zu seiner Offenheit und Geduld, seiner Intelligenz und Reife, und mit einem Fingertippen auf meinen digitalen Schreibtisch warf ich ihn auf den lodernden Scheiterhaufen der Geschichte.
Ich fühlte mich beschissen wegen Barry, aber noch beschissener wegen meiner selbst. Joshies Büro war den ganzen Tag gerammelt voll, aber in einem ruhigen Moment erwischte ich ihn am Fenster, wo er grübelnd in einen makellos blauen Himmel starrte – nur ein dicker, einsamer Militärhubschrauber, den bewaffneten Schnabel wie ein Raubvogel auf Beutesuche gesenkt, tuckerte Richtung East River dahin. Ich trat neben ihn. Er nickte, nicht unfreundlich, aber mit müder Reserviertheit. Ich erzählte ihm von Barry, betonte das gute Wesen des Mannes und sein Problem, dass er nämlich zu viele Kinder hatte, die er liebte, und nicht genug Geld, sie alle zu retten, was Joshie bloß ein Achselzucken entlockte. «Wer ewig leben will, wird auch einen Weg finden, das zu verwirklichen», sagte er – ein Eckpfeiler der Posthumanen Philosophie.
«Hey, Grizzly», sagte ich, «meinst du, ich könnte ein paar Dechronifizierungsbehandlungen zum Sonderpreis kriegen? Bloß so eine grundlegende Weichgewebe-Wartung, um vielleicht ein paar biologische Jahre abzutragen?»
Joshie betrachtete den drei Meter hohen Glasfiber-Buddha, der sein ansonsten leeres Büro möblierte; dessen beseelter Blick sandte Alphastrahlen aus. «Die sind nur fürKlienten», sagte er. «Das weißt du doch, Rhesus. Warum zwingst du mich, es dir ins Gesicht zu sagen? Halt dich an die Diät- und Fitnesspläne. Nimm Stevia statt Zucker. Du hast immer noch ein ganzes Stück Leben in dir.»
Meine Traurigkeit erfüllte den Raum, besetzte seine einfachen, rechtwinkligen Konturen, verdrängte sogar Joshies spontanen Rosenduft.
«So habe ich es nicht gemeint», sagte er. «Nicht bloß
ein ganzes Stück
. Vielleicht auch ewig. Aber du darfst dir nicht einbilden, dass das schon sicher ist.»
«Eines Tages wirst du mich sterben sehen», sagte ich und hatte deswegen sofort
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