Super Sad True Love Story
sterben» würden. Ich weiß nie so genau, welchen Teilen von Noahs Stream ich glauben soll, aber so wie das Leben derzeit aussieht, muss man mit allem rechnen. Wir hatten mit den Affen und «José dem Biber» und all den kleineren Tieren unseren Spaß, aber der Höhepunkt war so ein wunderschöner Steppenelefant namens Sammy. Als wir zu seinem bescheidenen Gehege schlenderten, packte Eunice mich an der Nase und sagte:
«Kokiri.»
«
Ko»
, erklärte sie, «bedeutet ‹Nase›.
Kokiri
‹lange Nase›. ‹Elefant› auf Koreanisch.»
«Ich hab einne lange Nnase, weil ich Jude binn», sagte ich und versuchte ihre Hand von meinem Gesicht zu schieben. «Dagegn kann ich nnichds machn.»
«Du bist so empfindlich, Lenny», sagte sie und lachte. «Ich herze deine Nase
total
. Ich wünschte, ich hätte
auch
eine.» Und dann begann sie, vor den Augen des Dickhäuters meinen Zinken zu küssen, wanderte mit ihren harten kleinen Lippen sanft den endlos langen Rücken hoch und runter. Dabei starrte ich den Elefanten an und beobachteteim Spiegel des Elefantenauges, in der riesigen, haselnussbraunen, von groben grauen Augenbrauen umgebenen Linse, wie ich geküsst wurde. Sammy war fünfundzwanzig, in der Mitte seiner Lebensspanne, gerade so wie ich. Ein einsamer Elefant, momentan der einzige im Zoo, fern seiner Landsleute und der Möglichkeit der Liebe. Langsam klappte er eins der mächtigen Ohren zurück, wie ein galizischer Ladenbesitzer vor mehr als einem Jahrhundert die Arme ausgebreitet haben mochte, um zu sagen: «Ja, das ist alles, was ich anzubieten habe.» Und dann, als ich Glücklicher mich im Auge des Tieres spiegelte, ich, der glückliche Lenny, auf den Rüssel geküsst von Eunice Park, ging mir auf:
Der Elefant weiß Bescheid
. Der Elefant weiß, dass uns in diesem Leben wenig und danach nichts erwartet. Der Elefant ist sich seiner späteren Auslöschung bewusst, und das schmerzt ihn, macht ihn kleiner, lässt ihn seine Vereinzelung spüren, da er doch eigentlich am Ende durch Busch und Unterholz trampeln und sich genau dort zum Sterben niederlegen will, wo seine Mutter ihm mit zitternden Flanken das Leben geschenkt hat. Mutter, Vereinzelung, Gefangenschaft, Auslöschung. Der Elefant ist im Kern ein jüdisches Tier, aber ein durch und durch rationales – auch er will ewig leben.
«Gehen wir», sagte ich zu Eunice. «Ich möchte nicht, dass
kokiri
zuschaut, wie du meine Nase küsst. Das macht ihn bloß noch trauriger.»
«Ach», sagte sie. «Du bist so süß zu Tieren, Len. Ich finde, das ist ein gutes Zeichen. Mein Vater hatte mal eine Hündin, und um die hat er sich richtig liebevoll gekümmert.»
Jawohl, Tagebuch, so viele gute Zeichen! Eine richtig positive Woche. Fortschritte an allen Fronten. Und in denwichtigsten Punkten. Eunice lieben (Punkt 3), nett zu den Eltern sein (Punkt 5) und sich für Joshie ins Zeug legen (Punkt 1). Ich komme gleich zu unserem (ja, zu
unserem
) Besuch bei den Abramovs, aber zunächst mal ein kurzer Blick auf die Lage am Arbeitsplatz.
Als Allererstes marschierte ich bei den Posthumanen Dienstleistungen in die Eternity Lounge und redete mit dem Typen im SUK-DI K-Einteiler plus rotem Halstuch, der mich in seinen Stream «101 Leute, die uns leidtun sollten» gestellt hatte: Darryl von der Brown University, der Dieb meines Schreibtischs, als ich in Rom gewesen war. «Hey, Mann», sagte ich zu ihm. «Hör mal, ich weiß die Öffentlichkeit zu schätzen, aber ich habe eine neue Freundin mit Fickfaktor 780» – das Image von Eunice, das ich im Zoo aufgenommen hatte, hatte ich auf meinem Äppärät ganz nach vorn geschoben –, «und irgendwie versuche ich grad, es mit ihr richtig cool angehen zu lassen. Hättest du also was dagegen, mich aus deinem Stream zu nehmen?»
«Fick dich, Rhesus», sagte der junge Bursche. «Ich mache, was ich will. Du bist doch nicht mein Vater. Und selbst
wenn
du mein Vater wärst, würde ich dir trotzdem sagen, du kannst mich mal.»
Wie zuvor lachten reizende junge Menschen über unseren Schlagabtausch, und ihr Lachen war schleppend, zäh und gespickt von Bildungsbosheit. Offen gesagt war ich zu verblüfft, um zu antworten (ich war der Ansicht gewesen, ich würde mich allmählich mit dem SUK-DI K-Typen anfreunden), und noch verblüffter, als meine Kollegin Kelly Nardl hinter dem Nüchternblutzucker-Tester hervorkam, die Arme vor der Röte ihres Halsausschnitts verschränkt, das Kinn vom alkalisierten Wasser feucht glänzend. «Was fällt dir ein,
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