Super Sad True Love Story
Lieblingsmedizin. «Magengeschwür», sagte er ernst zu Eunice und deutete auf seine gequälte Bauchregion.
Meine Mutter hatte mich bereits am Hinterkopf gepackt und strich mir wie wahnsinnig übers Haar. «So grau», sagte sie mit übertriebenem Kopfschütteln wie eine amerikanische Komödiendarstellerin. «So alt er wird. Fast vierzig. Ljonja, was ist los mit dir? Zu viel Stress? Haare fallen auch aus. O mein Gott!»
Ich schüttelte sie ab. Wieso machte mein Verfall allen solche Sorgen?
«Sie heißen Eunice?», fragte mein Vater. «Wissen Sie, woher kommt so ein Name?»
«Meine Eltern …», hob Eunice brav an.
«Kommt vom Griechischen,
eu-nii-kää
. Heißt ‹siegreich›.» Er lachte erfreut, weil er zeigen konnte, dass er, bevor er in Amerika zum Hausmeister werden musste, am Arbat in Moskau als Halbintellektueller und kleiner Dandyunterwegs gewesen war. «Ich hoffe also», fuhr er fort, «dass Sie im Leben werden auch siegreich sein!»
«Wen interessiert Griechisch, Boris», sagte meine Mutter. «Sieh doch, wie sie ist schön!»
Dass meine Eltern Eunice’ Aussehen und ihre Siegchancen so positiv beurteilten, hellte meine Laune erheblich auf. Nach all den Jahren lechzte ich immer noch nach ihrer Anerkennung, sehnte mich nach Zuckerbrot und Peitsche ihrer Erziehungsmethoden aus dem 19. Jahrhundert. Ich nahm mir vor, meine hitzigen Gefühle herunterzukühlen, Gedanken zu fassen, ohne dass mir das Familienblut in den Schläfen pochte. Doch alles umsonst. Sobald ich an der Mesusa am Eingang vorbeiging, wurde ich wieder zwölf Jahre alt.
Eunice errötete wegen der Komplimente und sah mich ängstlich und überrascht an, als mein Vater mich zum üblichen Vier-Augen-Gespräch Richtung Wohnzimmersofa zog. Meine Mutter kam mit einer Plastiktüte angerauscht, die sie über die Stelle breitete, auf die ich mich mit meiner zweifelhaften Manhattan-Kleidung setzen wollte, dann führte sie Eunice in die Küche, wo sie der potenziellen Schwiegertochter und Verbündeten fröhlich vorschwatzte, dass «Männer können so schmutzig sein, wissen Sie», und sie gerade eine neue Lagermöglichkeit für ihre vielen Wischmopps eingerichtet habe.
Auf dem Sofa legte mir mein Vater den Arm um die Schultern – da war sie, die Nähe – und sagte: «
Nu, rasskaschi
(Na los, erzähl mal).»
Ich atmete im Takt mit ihm, als wären wir verbunden. Ich spürte sein Alter in mich einsickern, als wäre er die Vorhut meiner eigenen Sterblichkeit, obwohl seine Haut erstaunlich faltenfrei war und ein Odeur von Vitalität verströmte, begleitet von einem leisen Hauch Verfall. Ich sprach Englischmit verlockenden Anklängen des Russischen, das ich unregelmäßig an der NYU studiert hatte, und die fremden Worte ragten wie Rosinen aus einem Brotlaib hervor. Im Geist notierte ich einige der schwierigeren Wörter, die ich daheim in meinem nichtdigitalen Oxford Russisch-Englisch-Wörterbuch nachschlagen wollte. Ich redete über die Arbeit, über meine Vermögenswerte, über die 239 000 Yuan-gekoppelten Dollar, die ich Howard Shu schuldete (
swolotsch kitaitschonok
[kleine Chinesensau], lautete die Meinung meines Vaters), über die jüngste, ziemlich positive Taxierung meiner 70-m²-Wohnung in der Lower East Side, über all die Finanzfragen, die uns in Angst und in Verbindung hielten. Ich gab ihm eine Fotokopie meiner selbst, ohne ihm zu sagen, dass ich unglücklich, gedemütigt und oft, genau wie er, ganz auf mich gestellt war.
Er hielt meinen neuen Äppärät-Anhänger hoch. «Wie viel?», fragte er und drehte das Ding zwischen den haarigen Fingern, über die verschiedenfarbige Daten flossen. Als ich ihm erklärte, das Gerät hätte ich gratis bekommen, schnaubte er zufrieden und sagte in unvermengtem Englisch: «Neue Technologie gratis lernen ist gut.»
«Wie steht’s mit deiner Bonität?», fragte ich.
«Ach.» Er winkte ab. «Ich gehe nie in Nähe dieser Masten, also was soll es?»
Der Boden unter meinen Füßen war sauber, einwanderersauber, so sauber, dass man merkte, jemand hatte sein Bestes gegeben. Mein Vater hatte zwei altmodische
Televisor -Bildschirme
über dem von meiner Mutter fanatisch polierten Kaminsims an die Wand gehängt. Einer war auf einen FoxLiberty-PrimeStream eingestellt, der gerade die wachsende Zeltstadt im Central Park zeigte – inzwischen reichte sie vom Metropolitan Museum über Berg und Tal bis hinab zur Sheap Meadow («
obesjani
[Affen]» nannte meinVater die vertriebenen und obdachlosen
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