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Super Sad True Love Story

Super Sad True Love Story

Titel: Super Sad True Love Story Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Shteyngart
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Demonstranten). Auf dem anderen Schirm strahlte FoxLiberty-Ultra gnadenlos die Ankunft des chinesischen Zentralbankchefs auf dem Luftwaffenstützpunkt Andrews aus, unsere Nation, die vor ihm im Staub lag, unseren Präsidenten und dessen hübsche Frau, die den Versuch unternahmen, nicht zu sehr zu bibbern, als ein kalter Platzregen sich über Maryland ergoss und den in der Hitze aufgeplatzten Asphalt reinwusch. Als ich meinen Vater fragte, wie es ihm gehe, deutete er auf sein Sodbrennen und seufzte. Dann begann er über die Nachrichten auf «dem Fox» zu reden. Wenn er sprach, hatte ich manchmal das Gefühl, dass er – zumindest nach seinem Empfinden – bereits aufgehört hatte zu existieren, dass er sich bloß noch für eine Leerstelle hielt, die durch eine lächerliche Welt herumtrieb. Mit komplizierten Sätzen, die ihm das Englische verweigert hatte, pries er auf Russisch Verteidigungsminister Rubenstein und alles, was der und die Überparteilichen für unser Land getan hatten, und sagte, dass der SicherheitsStaat Israel jetzt mit Rubensteins Segen die nukleare Option gegen die Araber und Perser ergreifen solle, «vor allem gegen Damaskus, von wo, wenn der Wind richtig steht,
s boschej pomoschtschu
(mit Gottes Hilfe) die giftigen Wolken und nuklearen Niederschläge in Richtung Teheran und Bagdad treiben werden» statt nach Jerusalem und Tel Aviv.
    «Ach, übrigens, ich habe in Rom Nettie Fine getroffen», sagte ich. «In der Botschaft.»
    «Und wie geht es unserer amerikanischen Mama? Meint sie immer noch, dass wir ‹grausam› sind?» Er lachte irgendwie grausam.
    «Sie meint, die Leute im Park werden sich erheben. Die Ex-Nationalgardisten. Es wird eine Revolution gegen die Überparteilichen geben.»
    «
Tschusch kakaja!
(Was für ein Blödsinn!)», rief mein Vater. Aber dann dachte er einige Augenblicke nach und breitete die Arme aus. «Was soll man mit jemandem wie ihr anfangen?», sagte er.
«Liberalka.»
    Zwanzig Minuten lang spürte ich den Atem meines Vaters an der Wange, während er von seinem komplexen politischen Leben erzählte, dann entschuldigte ich mich, wand mich aus seiner feuchtwarmen Umarmung und ging nach oben ins Bad, weshalb mir meine Mutter aus der Küche nachrief: «Lenny, zieh im Bad oben nicht die Schuhe aus. Papa hat
gribok
(Fußpilz).»
    Im kontaminierten Badezimmer bewunderte ich den seltsamen Plastikklops mit Holzspeichen, der die beeindruckende Wischmoppkollektion meiner Mutter in ständiger Griffbereitschaft hielt. Obwohl meine Eltern nie ein gutes Wort über HeiligPetroRussland verloren, hingen im Flur lauter gerahmte sepiafarbene Postkarten vom Roten Platz und dem Kreml, von der schneebestäubten Reiterstatue des Prinzen Juri Dolgoruki, der Moskau gegründet hatte (auf den Knien meines Vaters hatte ich ein bisschen russische Geschichte gelernt), und von den Zuckerbäckertürmen der renommierten Lomonossow-Universität aus der Stalinzeit, die keines meiner Elternteile je besuchen konnte, weil, so schilderten sie es, damals keine Juden zugelassen gewesen waren. Was mich anging, so war ich nie in Russland gewesen. Ich hatte keine Gelegenheit, es so lieben und hassen zu lernen wie meine Eltern. Ich muss schon mit
einem
sterbenden Imperium fertigwerden, da brauche ich nicht noch eins.
    Mein Zimmer war fast leer; alle Spuren meiner Bewohnung, die Poster und kleinen Reisemitbringsel, hatte meine Mutter in sorgfältig beschrifteten Kartons in den Wandschränken verstaut. Ich genoss die Enge, die Gemütlichkeit eines Zimmers im ersten Stock eines traditionellen Cape-Cod-Hauses,die Dachschräge, unter der man sich ducken muss, ja gar nicht anders kann, als sich wieder klein und naiv zu fühlen, zu allem bereit, nach Liebe dürstend, der Körper wie ein Schornstein voller seltsamem schwarzem Rauch. Diese quadratisch gedrungenen, unwohnlichen Zimmer sind eine Art Lobgesang auf die Teenagerzeit, auf das Erwachsenwerden, auf den ersten und letzten Geschmack der Jugend. In Worten kann ich kaum ausdrücken, wie viel der Kauf dieses Hauses, jedes winzigen Schlafzimmers darin, für meine Familie und mich bedeutet hatte. Ich erinnere mich an die Vertragsunterzeichnung im Büro des Notars, bei der wir drei uns anstrahlten, einander im Geiste die Sünden von anderthalb Jahrzehnten vergaben, die vom Vater verabreichten Prügel meiner jungen Jahre, die Ängste und Manien meiner Mutter, meine eigene pubertäre Übellaunigkeit, denn endlich hatten der Hausmeister und seine Frau etwas richtig gemacht!

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