Super Sad True Love Story

Jetzt würde alles in Ordnung kommen. Jetzt gab es kein Zurück mehr, ein glorreicher Besitz mitten auf Long Island war uns beschert worden, und nichts von den sorgfältig beschnittenen Büschen vorne am Briefkasten (unsere eigenen Büsche, ABRAMO V-Bü sche ) bis hin zu der oft erwähnten kalifornischen Möglichkeit eines oberirdisch aufgestellten Swimmingpools hinten im Garten, die zwar wegen unserer prekären Finanzlage nie umgesetzt, jedoch auch nie ganz zu Grabe getragen wurde, konnte uns wieder genommen werden. Und auch nicht das hier, mein Zimmer, dessen Privatsphäre meine Eltern nie respektiert hatten, wo ich aber dennoch im Sommer überhitzte Zuflucht auf dem besseren Feldbett fand und meine dünnen Teenagerarme das Einzige taten, zu dem sie außer Selbstbefriedigung fähig waren, nämlich einen großen roten Band der Werke Joseph Conrads hochzuhalten, wobei sich meine weichen Lippen zu den dichten Worten bewegtenund die verzogene Holzvertäfelung das gelegentliche Schnalzen meiner Zunge schluckte.
    Draußen im Flur entdeckte ich eine weitere gerahmte Erinnerung. Einen Aufsatz, den mein Vater auf Englisch für das Mitteilungsblatt des wissenschaftlichen Labors, in dem er arbeitete, geschrieben hatte (zum Stolz unserer Familie hatte er es auf die Titelseite des Blattes geschafft) und der von mir, damals Student mit Hauptfach Englisch, redigiert und Korrektur gelesen worden war.
     
    DIE FREUDEN DES BASKETBALLSPIELS
    VON BORIS ABRAMOV
    Manchmal ist das Leben schwierig, und man hat den Wunsch, sich vom Druck und den Sorgen des Lebens zu erleichtern. Manche Menschen laufen zum Psychiater, manche springen in einen kalten See oder reisen um die Welt. Ich jedoch finde nichts erfreulicher, als Basketball zu spielen. Im Labor gibt es viele Männer (und Frauen!), die gern Basketball spielen. Sie kommen aus aller Welt, aus Europa, aus Lateinamerika, von überall sonst. Ich kann nicht behaupten, dass ich der beste Spieler wäre, ich bin nicht mehr der Jüngste, meine Knie schmerzen, ich bin außerdem eher klein, das ist ein Handicap. Aber ich nehme das Spiel sehr ernst, und wenn sich in meinem Leben ein großes Problem auftut und ich das Gefühl habe, nicht mehr weiterleben zu wollen, dann stelle ich mir manchmal vor, ich wäre auf dem Platz und würde versuchen, einen Ball aus großer Entfernung in den Korb zu werfen oder einen agilen Gegner auszuspielen. Ich bemühe mich, mit Bedacht zu spielen. Das Ergebnis ist, dass ich oft auch gegen viel größere oder schnellere Gegner siegreich bin, sagen wir aus Afrika oder Brasilien.Aber ob gewinnen oder verlieren – was zählt, ist der Geist dieses wundervollen Spiels. Wenn Sie also dienstags oder donnerstags zur Mittagszeit (12.30   Uhr) nichts vorhaben, dann kommen Sie doch Ihrer Gesundheit zuliebe zu mir und Ihren Kollegen ins Sportzentrum. Sie werden sich wohler in Ihrer Haut fühlen, und die Sorgen des Lebens werden «dahinschmelzen»!
    Boris Abramov arbeitet als Hausmeister in der Abteilung Gebäude- und Grundstücksbetreuung.
     
    Ich erinnere mich noch, wie ich meinen Vater zu überreden versuchte, die Stelle wegzulassen, in der er sich als «eher klein» beschrieb, genauso die Sache mit den schmerzenden Knien, doch er antwortete, er wolle ehrlich sein. Ich sagte ihm, dass die Menschen in Amerika gern ihre Schwächen ignorierten und ihre unglaublichen Leistungen betonten. Wenn ich jetzt darüber nachdenke, habe ich ein schlechtes Gewissen, weil ich in Queens geboren wurde und jede Menge nahrhaftes Essen auf den Teller bekam, das mich zu einer halbwegs normalen Größe von ein Meter fünfundsiebzig heranwachsen ließ, während mein Vater kaum eins fünfundsechzig erreicht hatte. Er, der Sportler, hätte diese paar Zentimeter besser gebrauchen können als ich, der Schlaffe, Unbewegliche, um den Basketball an einem riesenwüchsigen Brasilianer vorbeisegeln zu lassen.
    Der vertraute Ruf meiner Mutter schallte von unten herauf: «
Ljonja, gotowo!
(Lenny, Essen ist fertig!)»
     
    Unten im Esszimmer mit den glänzenden rumänischen Möbeln, die die Abramovs aus ihrer Moskauer Wohnung mitgebracht hatten (in ihrer Gesamtheit könnte man sie in ein kleines amerikanisches Zimmer quetschen), war der Tisch mit russischer Gastlichkeit gedeckt – von vier verschiedenenSorten pikanter Salami über eine Platte Rinderzunge bis zu jedem noch so kleinen Fisch, der in der Ostsee zu finden ist, ganz zu schweigen vom heiligen Häufchen schwarzen Kaviars, gab es einfach alles. Eunice