Super Sad True Love Story
die aus siebenjährigem Schlummer erwachten. Und wie erst meine Landsleute aussahen – die passiven Häupter gebeugt, die Hände an der Hosennaht, alle schuldig des Vergehens, nicht das Beste aus sich zu machen, nicht ihr täglich Brot zu verdienen, eine Unterwürfigkeit, die ich von Amerikanern niemals erwartet hätte, nicht mal nach so vielen Jahren des Abstiegs. Hier sah man die
Erschöpfung
, die aus dem Versagen erwuchs und sich auf ein Land legte, das nur ans Gegenteil glaubte. Hier sah man das Endprodukt unserer tiefen moralischen Ermattung. Beinahe hätte ich Nettie Fine eine Nachricht geteent und sie angefleht, mir etwas von ihrer funkelnden Einheimischen-Hoffnung abzugeben. Glaubte sie wirklich ernsthaft, alles würde besser werden?
Ein bierbäuchiger, ziegenbärtiger
Muschik
mit Tarnhelm kontrollierte meinen Äppärät, wobei er mir den Anblick einer unerfreulichen Zahnreihe und einen Hauch morgendlichen Mundgeruchs gewährte, der sich offenbar bis tief in den Nachmittag gehalten hatte. «Bö-öswilliche Angabe unvollständjer Daatn», bellte er in einem Akzent, den ich irgendwo zwischen den Appalachen und dem tieferen Südenansiedelte, wo das kurze «bös» ein bedrohlicher Zweisilber war. (Wie hatte aus diesem falschen Kentuckianer ein
New Yorker
Nationalgardist werden können?) «Sollndas, Freundchen?»
Das ließ mir sofort die Luft raus. Augenblicklich zog sich die Welt in ihre Umrisse zurück. In erster Linie hatte ich Angst, vor Eunice Angst zu zeigen. Ich war in dieser Welt doch ihr Beschützer. «Nein», sagte ich. «Nein, Sir. Das wird in Ordnung gebracht. War ein Irrtum. Ich habe auf dem Flug von Rom hierher mit einem dicken Aufrührer im Flugzeug gesessen. Ich habe zu dem Otter ‹So Italiener› gesagt, und er hat ‹Somalier› verstanden.»
Der Soldat hob eine Hand. «Sie arbeitn für Staatling-Wapachung?», fragte er und sprach dabei den komplizierten Namen meines Arbeitgebers an mehreren Stellen falsch aus.
«Ja, Sir. Posthumane Dienstleistungen, Sir.» Das Wort «Sir» kam mir wie eine kaputte Waffe zu meinen Füßen vor. Wieder wünschte ich, meine Eltern wären näher, obwohl sie nicht mal mehr drei Kilometer entfernt waren. Aus irgendeinem Grund fiel mir Noah ein. Konnte er wirklich mit der ARR kollaborieren, wie Vishnu angedeutet hatte? Und wenn ja, könnte er mir jetzt helfen?
«Leugn’ und zustimm’?»
«Was?»
Der Mann seufzte. «Leugn’ Sie die
Egg
-sistenz unsres Gesprächs und stimm’ inhaltlich zu?»
«Ja. Natürlich!»
«Hier, den Fingerabdruck.»
Ich streifte das Pad seines dicken braunen Äppärätes mit dem Daumen.
Ein Schwenk des Handgelenks. «Weitergehn.» Als ich ihm Folge leistete, fiel mir eine Aufschrift auf dem Transporter ins Auge: «WAPACHUNGKRISE – AUSRÜSTUNG LEASEN/KAUFEN.» WapachungKrise hieß das erschreckend profitable Sicherheitsunternehmen unserer Mutterfirma. Was zum Teufel war hier los?
Zum Haus meiner Eltern nahmen wir ein Taxi und kamen an verschiedenen Beispielen bescheidener zweistöckiger Cape-Cod-Häuschen mit Aluminiumverkleidung vorbei, ein Wimpel der New York Yankees hing an jedem zweiten Eingang – die Sorte blühendes Viertel, wo das gesamte Haushaltsgeld in die zehn mal dreißig Quadratmeter Rasenfläche fließt, die selbst jetzt, in der überreifen Hitze des Ostküstensommers, in sorgsam kultiviertem Grün erglänzte. Es war mir ein bisschen peinlich, dass Eunice’ Eltern so viel besser dastanden als meine, aber ich war zufrieden, wie sich die Sache mit dem näselnden Nationalgardisten entwickelt hatte – dass es so aussah, als wären mir als Angestelltem der mächtigen Staatling-Wapachung Corporation, die inzwischen offenbar sogar die Nationalgarde ausrüstete, Kraft und Gnade zuteilgeworden. «Hast du eben Angst gehabt, Euny?», fragte ich.
«Ich weiß doch, dass mein
kokiri
kein abartiger Krimineller ist», sagte sie, rieb meine Nase und beugte sich vor, damit ich ihre Stirn küssen und die Tatsache feiern konnte, dass ihr auch in solch schwierigen Zeiten noch Witze gelangen.
In wenigen Minuten erreichten wir Washington Avenue Ecke Myron Road, die wichtigste Straßenecke meines Lebens. Schon konnte ich das Haus meiner Eltern sehen, halb Backstein, halb Stuck, den goldenen Briefkasten vorne, daneben die Nachbildung einer Leuchte aus dem 19. Jahrhundert, die billigen Gartenstühle, die auf der als Veranda dienenden Betonfläche gestapelt waren, das Pferdekutschenmotiv auf der stählernen Fliegengittertür
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