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Super Sad True Love Story

Super Sad True Love Story

Titel: Super Sad True Love Story Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Shteyngart
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politische Parteien, Soldatenräte, Stadtstaaten, aber so wird es jedenfalls sein, und diesmal werden wir es nicht verbocken. Das wird wieder genau wie 1776.   Zweiter Akt für Amerika. Na dann, Eunice, ich mach Schluss für heute. Vergiss nicht die Vorräte für den Vierten.
    Grüße,
    David

DER SÜNDERKREUZZUG
    Aus dem Tagebuch des Lenny Abramov
    7.   Juli
     
    Liebes Tagebuch,
     
    ich hasse den 4.   Juli. Da bricht für den Sommer das mittlere Alter an. Alles ist noch quicklebendig, doch der allmähliche Niedergang in den Herbst hat sich bereits in Bewegung gesetzt. Ein paar der kleineren Sträucher und Büsche, von der Sonne versengt, erinnern schon an billig blondierte Haare. Die Hitze erreicht ihren glühenden Höhepunkt, aber der Sommer belügt sich selbst, verheizt sich wie ein alkoholkrankes Genie. Und man kommt ins Grübeln – was habe ich mit dem Juni angefangen? Die Ärmsten der Gegend – die Bewohner der Vladeck Houses neben meiner Wohnanlage – nehmen den Sommer offenbar ganz selbstverständlich hin; sie stöhnen und schwitzen, trinken die falsche Sorte Bier, lieben sich, und ihre dicklichen Kinder, zu Fuß oder auf Mountainbikes, kreisen wild um sie herum. Doch für die ehrgeizigeren New Yorker, zu denen sogar ich mich zähle, ist der Sommer etwas, das genossen werden muss. Wir wissen, der Sommer ist der Gipfel des Lebendigseins. Die meisten von uns glauben nicht an Gott oder die Aussicht auf ein Leben nach dem Tod, darum wissen wir, dass uns nur etwa achtzig Sommer pro Leben beschieden sind, und jeder muss besser werden als der letzte, muss nicht nur die Fahrt zu diesem Kulturzentrum am Bard College beinhalten, sondern auch eine dem Anschein nach ganz entspannte Partie Badminton am Landhaus irgendeines Banausen oben in Vermont und einen kalten, nassen, vergleichsweise gefährlichen Kajaktripauf einem gnadenlosen Fluss. Wie sollte man sonst auch sicher sein, dass man das Beste aus dem Sommer gemacht hat? Und was, wenn einem irgendein Eckchen schattigen Nirwanas durch die Lappen gegangen ist?
    Ehrlich gesagt bevorzuge ich jetzt, wo meine Unsterblichkeit in immer weitere Ferne rückt (die 239   000   Dollar sind hin; zuletzt hatte ich nur noch ¥1   615   000), ohnehin den Winter, wenn um mich herum alles tot ist, wenn nichts knospt, wenn die Ewigkeit – so kalt, so dunkel – sich den unglücklichen Anhängern des Wirklichen als Wahrheit offenbart. Und am allerwenigsten kann ich gerade diesen Sommer ertragen, der uns schon hundert Leichen im Park beschert hat.
    «Ein instabiles, kaum regierbares Land, das fürs internationale System unternehmerischer Staatsführung und Wechselkursmechanismen ein ernstes Risiko darstellt», so hatte Zentralbankchef Li uns genannt, als sein Arsch wieder wohlbehalten in Peking gelandet war. Vor den Augen der Welt waren wir gedemütigt worden. Das Feuerwerk zum Nationalfeiertag wurde abgesagt. Die Parade zur Krönung des
American Spender
wurde verschoben, weil ein Abschnitt des Broadways in der Nähe der City Hall in der Hitze Blasen geschlagen hatte. Die übrigen Straßen blieben leer, die Bürger hielten sich klugerweise in den eigenen vier Wänden auf, die Züge der Linie F fuhren nur noch einmal die Stunde (kein so großer Unterschied zum regulären Fahrplan, wie ich sagen muss). Die einzige merkliche Veränderung sind die neuen AR R-Schilder , die an einigen Kreditmasten hängen und einen Tiger zeigen, der mit der Pranke nach einem winzigen Globus greift, darunter die Worte: «Amerika ist wieder da! Grrrr   … Schreibt uns nicht ab. Jetz [sic] hält uns nichts mehr auf! Gemeinsam werden wir die Welt verblüffen!»
    Am Dienstagmorgen, nach dem langen Wochenende, schickten die Posthumanen Dienstleistungen eine Hyundai-Limousine, um mich zur Arbeit abzuholen. Es dauerte ewig, bis wir zur Upper East Side vorgedrungen waren. An fast jeder Kreuzung der First Avenue war mit viel Stacheldraht ein Kontrollpunkt aufgebaut. Rotäugige, überarbeitete Gardisten mit diesem schleppenden Alabamississippi-Akzent winkten uns raus, durchsuchten das Fahrzeug vom Kühler bis zum Kofferraum, spielten mit meinen Daten herum, demütigten den dominikanischen Fahrer, indem sie ihn die amerikanische Nationalhymne singen ließen (den Text kenne ich selber nicht; wer kennt den schon?) und ihm dann befahlen, vor einem Kreditmast auf und ab zu marschieren. «Bald kommt die Zeit, Grashüpfer», grölte ein Soldat ihn an, «wo wir deinen braunen Arsch nach Hause schicken.»
    Im Büro

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